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Schrottreif

Schrottreif

Titel: Schrottreif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Morf
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das Geld für die Veloglocke für Süßigkeiten aus der Koscher-Abteilung in der Migros ausgegeben, die sie jetzt mit schlechtem Gewissen in einem Hauseingang aß.
    Nachmittags meldete sich Polizistin Elmer. Adeles Eltern hatten eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Sie hatten überall herumgefragt, bei Bekannten, in der Schule, niemand hatte die Kleine gesehen. Sie hatten Angst, ihre Tochter könnte entführt worden sein. Noch ein Vorfall, der Verbindung hatte zu FahrGut, hatte Elmer gedacht. Ein verschwundenes Mädchen, das im Geschäft ein und aus gegangen war. Das das Mordopfer und einen Verdächtigen zumindest flüchtig gekannt hatte. Das mit der toten alten Dame gut bekannt gewesen war. Und es gab einen Mordverdächtigen, der möglicherweise etwas gegen ein kleines jüdisches Mädchen hatte.
    Valeries Herz verwandelte sich in einen schweren, harten Klumpen. »Sucht ihr nach Männern oder sucht ihr nach antisemitischen Typen?«, fragte sie.
    Nach einem Moment des Schweigens erklärte Zita Elmer: »Nach beidem. Wir werden Paul Schiesser nochmals befragen.«
    Markus Stüssi, dachte Valerie. Aber das war nicht möglich. Markus war den ganzen Morgen in der Werkstatt gewesen. Nur über Mittag war er eine Stunde weg. Und wie auch immer seine politische Haltung vor ein paar Jahren ausgesehen haben mochte, er hatte derzeit eine türkische, muslimische Freundin. Sicher, Markus mochte Kinder nicht, vielleicht konnte er insbesondere jüdische Kinder nicht ausstehen, aber er würde kein jüdisches Mädchen entführen. Auch nicht, wenn es zu ihm gesagt hatte: ›Sie habe ich auch gesehen.‹?
     
     

4. Teil
    Valerie saß im Büro. Es war kurz vor 19 Uhr. Alles war reingeräumt, die Kassenabrechnung gemacht, ihre beiden Angestellten waren gegangen. Es gab keinen Grund, dass sie weiter hierblieb. Von Adele hatte man bisher nichts gehört. Valerie wollte jetzt nicht nach Hause. Wenn sie ging, wollte sie abschalten, aber das konnte sie momentan nicht. Sie musste nachdenken. Seppli schlief, dicht an den kleinen Elektroofen geschmiegt. Allerdings konnte Valerie das bewegte Durcheinander in ihrem Kopf kaum als Nachdenken bezeichnen. Adele, Frau Zweifel, Raffaela Zweifel, Markus, Hugo Tschudi, ihre eigene Schuld, alles wogte hin und her. Sie überlegte sich Zusammenhänge, verwarf sie wieder, suchte andere Verbindungen. Und was hatte das alles mit FahrGut zu tun, zum Teufel?, fragte sie sich in einem Moment von aufwallendem Zorn. Warum suchten sich die Leute für ihre Diebstähle, Erpressungen und Morde, für ihr Sterben und Verschwinden ausgerechnet ihr Geschäft aus? Gleich schämte sie sich dieses Gedankens. Valerie schaute vor sich hin. Plötzlich bemerkte sie etwas auf dem Boden. Bückte sich und hob es auf. Komisch, wunderte sie sich, wo kommt denn das her? Plötzlich kam ihr in den Sinn, wo sie so ein Ding das letzte Mal gesehen hatte. Sie hielt den Atem an. Ihr Herz begann, heftig zu klopfen. Sie mahnte sich zur Ruhe. Vielleicht lag es ja schon lange dort. Andererseits hatte Sibel erst vor Kurzem staubgesaugt.
    Seppli hob den Kopf. Er hatte das feinere Gehör. Aber nun hörte Valerie es ebenfalls. Ein leises Schleifen, oder war es ein lautes Atmen? Oder beides? Es kam aus der Richtung des Kellerabteils gegenüber der Garderobe, in dem allerlei Schrott vor sich hin alterte. Sie benutzten es selten. Einen Moment lang verharrte Valerie schreckensstarr. Im nächsten Augenblick war sie ganz ruhig. Sie stand auf, griff sich eine Eisenstange, ging auf das Kellerabteil zu und blieb stehen. Die Türe, sah sie jetzt, war einen Spalt offen.
    »Ist da jemand?«
    Die Tür ging langsam auf. Adele stand da. Ein Häufchen Elend. Aber gesund. Unversehrt. Sie begann sofort zu weinen. Valerie legte die Eisenstange langsam zu Boden. Sie hätte am liebsten mitgeweint vor Erleichterung.
    »Komm«, sagte sie nur, zog die Kleine ins Büro und gab ihr ein Taschentuch. »Wie lange bist du schon hier unten?« Offenbar seit Stunden. Brockenweise, unterbrochen von Schluchzern, erzählte Adele ihre Geschichte. Valerie hatte ihr eine Schokoladenmilch angeboten, aber die Kleine hatte das mit einem entschiedenen Kopfschütteln abgelehnt, weil sie nicht koscher war. Valerie war beeindruckt. Sie hatte gedacht, dass man es mit den Speisegesetzen in solchen Ausnahmesituationen vielleicht etwas lockerer nehmen würde. Adele hatte in der Schule gehört, dass die alte Frau Zweifel gestorben war. Und da war ihr klar geworden, dass sie daran schuld war.
    »Warum

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