SchrottT (German Edition)
habe ein paar Stellen aus den Apokryphen vorgelesen und ein paar Worte on the fly geändert.«
»Eure, äh, Heilig… äh …« Lars-Peter versuchte zu beschwichtigen, aber er wusste nicht einmal, wie man den Landesvertreter korrekt ansprach. Colins Hoffnung, diesen Ort lebend zu verlassen, schwand, zumal Tier schon wieder in Tränen ausbrach und seinen Drumcomputer streichelte.
»Was willst du, hm?«, sprach Colin den Geistlichen an, noch ganz in der Euphorie der Bühne.
»Ich habe ganz genau religionsfeindliche Verse gehört«, heulte der Geistliche.
»Ich bin kein Feind der Religion, sondern ein Kritiker«, sagte Colin. Er holte Luft, dann brach es aus ihm heraus: »Zweifellos hat Religion auch was Gutes. Ein paar hübsch eingerichtete Kirchen und einigermaßen spannende Märchen zum Beispiel. Aber man muss mit allem kritisch umgehen. Und einfach mal fragen dürfen, ob ein paar Dinge noch zeitgemäß sind oder im Laufe von 2000 Jahren überholt sind. Fragen, woher eigentlich das ganze Gold stammt, mit denen die Kirchen verziert sind. Fragen, warum der Vatikan als einziger Staat in Europa bis heute nicht die europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet hat. Fragen, ob die sogenannte christliche Moral nicht in Wirklichkeit nur der Machterhaltung einer klerikalen Elite dient, statt immer und in jedem Fall das Wohlergehen der Menschen im Sinn zu haben.«
»Redest du von Wohlergehen, Junge? Oder von Bewusstseinsveränderung?« Der Purpurne hob ein silbernes Smartphone hoch, als enthalte es einen Zehennagel der Muttergottes. »Dank heiliger Technik hat die Untersuchung des hiesigen Aborts die Verwendung von unzulässigen Drogen durch Ihren Gitarristen ergeben namens …«
»James?« Colin griff nach dem Arm des Musikers, aber der senkte bloß den Kopf und brummte irgendwas.
»Oh-nein-oh-nein …«, lallte Lars-Peter.
»… daher nehmen wir ihn im Namen des heiligen Landesvaters fest, um ihn seiner seelischen Entgiftung zuzuführen.«
»Woher zum Teu… ich meine, woher …«
»Dieses Gerät ist erfüllt vom heiligen Funken der Weisheit«, behauptete der Mann. »Der genetische Fingerabdruck ist eindeutig, und etwas Illegaleres als Speed Benedikt 2.0 gibt es praktisch nicht in Seinem Heiligen Lande Thüringen.«
»Oh-nein-oh-nein …«
Die Schweizergarde trat vor und richtete ihre Hellebarden auf James-Markus.
Colin schaltete sofort. Einer der Gardisten wendete ihm den Rücken zu. So kräftig er konnte, trat ihm Colin auf das hintere Ende der Hellebarde. Wie ein Hebel klackerte das vordere Ende gegen die Waffe des Kameraden. Der versuchte, mit dem länglichen Kampfgerät zu manövrieren, aber der Raum war viel zu klein.
»Raus hier!«, brüllte Colin und zog Blondy am Arm Richtung Tür.
»Stehen bleiben!«, heulte der Mönch. »Haltet den Sünder, er darf seinem gerechten Gottesurteil nicht entkommen!« Der Mönch war breit gebaut, und da er heftig gestikulierte, kamen zwei weitere Gardisten nicht an ihm vorbei, ohne ihm einen Arm zu amputieren.
Lars-Peter packte James am Schlafittchen.
Spanisch stand schon neben der Tür und schleuderte Tier samt seiner Süßen hindurch.
Colin sah nur noch, wie James einem Gardisten seine Fender gegen die Kniescheibe rammte, dann stolperte er durch den Hinterausgang.
Später, im Tourbus, meinte Spanisch, dass die spirituelle Klarheit, die Speed Benedikt gewähren sollte, zu spät für den Gitarristen gekommen sei. Man hätte ihn um ein Haar auf die Wartburg gebracht, so Spanisch, wo man mit modernen Gottesurteilen experimentiere, bei denen neben Smartphones mit Seelensensor auch künstliche Intelligenzen eine Rolle spielen, die man mit der Bibel, päpstlichen Bullen und dem Glauben an die eigene Unfehlbarkeit gefüttert habe.
Nach einer Horrorfahrt über eine Autobahn, deren Mautbrücken mit überdimensionalen Kruzifixen und Porträts des Heiligen Landesvaters geschmückt waren, überschritt die Band die Grenze nach Sachsen.
Es fiel Blondy jenseits der Grenzanlagen verdammt schwer, Colin vom ununterbrochenen Herausschreien unheiliger Beleidigungen abzuhalten. Erst als auf der Thüringer Seite der Schranke weitere Schweizergardisten Position bezogen, hielt Colin den Mund.
Danach schlief er, bis die Band in Chemnitz eintraf.
Ruhrstadt, vielleicht nachmittags
Jemand schaltet einen Gefühlsstaubsauger ein, um Colins Ich durch Nase und Ohren zu extrahieren. Das macht einen ziemlichen Lärm.
Jemand drückt Colins Kopf unter Wasser, da ist es
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