SchrottT (German Edition)
würde ich dir jetzt eine runterhauen«, sagte Mama. »Du weißt genau, dass es für Alleinerziehende seit einiger Zeit schwierig geworden ist.«
»Ist ja auch irgendwie unnatürlich«, meinte Colin. »Also, ich find’s schade, dass ich keinen Papa hab.«
Seine Mutter beherrschte sich mit Mühe. »Ich habe dem Kondom nicht gesagt, dass es reißen soll. Was glaubst du, wie oft ich mich dafür verflucht habe, dass ich mich von einem Südkoreaner auf dem Dixi-Klo der Frankfurter Fanmeile hab schwängern lassen? Was glaubst du, wie oft ich mir gesagt habe: ›Wenn Togo gewonnen hätte, wäre das alles nicht passiert!‹?«
»Und wenn du wieder heiratest?«
»Oh, Junge …« Mama schüttelte den Kopf und schlug die Hände vors Gesicht. »Ich hätte vor zwei Jahren das restliche Geld nehmen und mit dir umziehen sollen.«
»Wohin denn?«
»Keine Ahnung. In ein anderes Land.«
Colin hieb mit der flachen Hand auf den Tisch. »Also gut. Wir ziehen nach Bayern.«
»Wo ich ein Kopftuch tragen muss? Glaub mir, die Religionspolizei würde auch dir nicht gefallen.«
»Dann in die Pfalz.« Colin zeigte vage nach Norden. »Oder ins Saarland.«
»Dann können wir es gleich in Frankreich versuchen. Du weißt schon, das ist das Land mit dieser komischen Sprache, die wir beide nicht verstehen.«
»Hä?«
»Ach Junge …« Wieder schüttelte Mama den Kopf. »Du kümmerst dich nicht um Dinge, die außerhalb deiner Sichtweite passieren, oder? Im Saarland hat der Polizeikonzern längst Französisch als Pflichtsprache eingeführt. Aus Sicherheitsgründen, wie es so schön heißt.«
Das kam Colin bekannt vor. »Sicherheit dient oft als Begründung«, gab er zu.
Ein kurzes Schweigen trat ein. Dann schob Mama langsam die Papiere auf dem Tisch zu einem großen Stapel zusammen. Colins Stimmung hellte sich auf. »Machst du jetzt mit der Pizza weiter?«
Machte sie, aber irgendwie schmeckte die Pizza fader als sonst.
Als am nächsten Morgen die Gratiszeitung zugestellt worden war, las Colin nach dem Sportteil aufmerksam die seriösen Partnerschaftsanzeigen. Drei davon strich er an, bevor er die Seite aufgeschlagen auf dem Küchentisch ausbreitete.
Bevor Mama vom Markt zurückkehrte, unternahm er einen Spaziergang zum Wettbüro.
Aus Sicherheitsgründen.
»Warum muss ich mit, Mama?« Colin kam es vor, als nörgele er wie ein kleines Kind, das die Mutter zum Frisör, anschließend zum Unterwäscheeinkauf und schließlich zur Maniküre begleiten muss und seine Spielsachen zu Hause vergessen hat. Eigentlich war er zu alt dafür. Aber wenn ihm doch danach war? Ein Date war etwas Intimes. Gut, meist fanden sie aus Sicherheitsgründen an belebten Orten statt wie Pizzeria, Freibad oder vor dem Schlosstor. Aber es war ein Unterschied, ob lauter Fremde dabei zusahen, wie man herumdruckste und schüchtern balzte, oder die eigene Blutsverwandtschaft.
Als Colin neben seiner Mutter hinten im Taxi saß, das sie zum Rendezvous mit Signore Länglich brachte, hätte er am liebsten die Tür aufgerissen, wäre bei voller Fahrt hinaus auf die Fahrbahn gesprungen, hätte sich alle Knochen gebrochen und wäre, nachdem er die Trümmer seines Körpers eingesammelt haben würde, quer über das Stoppelfeld geflohen, das gerade zur Rechten vorbeiflog.
Aber er tat es nicht. Er tat es nicht, weil er wusste, was das Wort »müssen« bedeutete. Es bedeutete Zwang, und bei Zwang dachte Colin automatisch an die große rote Zange, mit der er als experimentierfreudiger Junge im Keller Spinnen und Asseln zerquetscht hatte. Für die hatte es auch keinen Ausweg gegeben.
Aus dem Augenwinkel sah Colin zu seiner Mutter hinüber. Gefasst starrte sie aus dem Fenster, vor sich auf dem Schoß das hübsch verpackte Geschenk. Aftershave war drin, soweit Colin wusste, und zwar nicht das billigste. Man musste demonstrieren, dass einem etwas wichtig war, am besten mit einem Preisschild, das keinesfalls den Zusatz »Sonderangebot« tragen durfte. Natürlich würde Signore Länglich »Das wäre doch nicht nötig gewesen« sagen; ein Ritual oder die erste Lüge in ihrer Beziehung, ganz wie man es betrachten wollte.
Überhaupt: Signore . Selbstverständlich war der Mann Deutscher durch und durch, die italienische Anrede demonstrierte lediglich seine unbedingte Loyalität zur Familie, zur Firma und zur neuen Zukunft Baden-Württembergs. Wenigstens wusste Emma Weinland, die laut Partnervermittlung schlechthin optimale Lebensgefährtin für Dennis Länglich, woran sie
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