SchrottT (German Edition)
war.
Überhaupt: Emma . Colin hatte seine Mutter nie beim Vornamen genannt, selbst vor 2022 nicht. Jetzt zierte ihr Name in verzierten Lettern den Umschlag ihrer Bewerbungsunterlagen, mit deren Ecken ihre Finger ununterbrochen spielten.
Colin war sich nicht sicher, ob er das geschäftige Treiben Tage vor dem Termin richtig gedeutet hatte – aber als Mama sich mit ihrer besten Freundin Klara zwei Stunden lang im Schlafzimmer eingeschlossen hatte, waren Colin die Kamerablitze durch die Türritze aufgefallen. Klara besaß eine Spiegelreflex und konnte damit umgehen. Daher war ihr die Aufgabe zugefallen, intime Fotos für die Bewerbungsmappe anzufertigen. Immerhin, diese Partnervermittlung schrieb Privatsphäre groß: Andere nahmen die Fotos, die alles zeigten, was man hatte, gleich in der Agentur auf dem nächstbesten Sofa auf.
Im Grunde brachte Emma Weinland ausschließlich sehr wertvolle Dinge zum Date mit: Das Aftershave, ihren Sohn, ihre Intimsphäre.
»Signorina«, sagte der Taxifahrer plötzlich, »wir sind da.«
Colin sah hinaus, auch Mama reckte den Hals.
»Das ist der Friedhof«, entfuhr es Colin.
»Bitte schön, Blumengasse 18«, sagte der Taxifahrer. »Das macht dann 12 Euro 80.«
»Krass!«, sagte Colin und meinte nicht den genannten Preis. Er schwang sich aus dem Wagen und benutzte ihn sofort als Deckung, denn er hatte Signore Länglich entdeckt. Und der ihn. Er winkte freundlich, und Colin winkte schüchtern zurück. Länglich trug einen perfekt sitzenden schwarzen Anzug über einem weißen Hemd. Seine Schuhe glänzten, dass jede schwarze Perle vor Neid erblasst wäre. Seine gegelten Haare gereichten jeder Aalfamilie zur Ehre. Lässig hielt Länglich eine einzelne, rote Rose vor der Brust. Immerhin brachte also auch er etwas mit.
»Colin«, sagte Mama, die derweil ausgestiegen war, »entweder er verdirbt es oder ich . Du nicht. Einverstanden?«
»Ich finde, er sieht netter aus, als du befürchtet hast«, sagte Colin.
Mama atmete hörbar aus. »Gehen wir.«
Der obligatorische Austausch unverbindlicher Nettigkeiten dauerte fünf Grabreihen.
»Lass mich eins klarstellen, Emma«, ging Länglich ohne Aufhebens zum Du über, »Du suchst einen Mann und ich suche eine Frau. Ich habe das nötige Geld, du den Körper.«
»Zwei Körper«, warf Colin ein und bereute es sofort.
Aber Länglich grinste nur. »Dein Junge ist schlau und vorlaut.«
»Er hat es nicht so gemeint«, sagte Mama schwach.
»Doch, hat er. Er hat die Rollenverteilung verstanden. Sie ist sauber und ordentlich und nicht so durcheinander wie vor der letzten großen Privatisierung. Man kann sich auf gewisse Dinge verlassen, und das ist eine gute Sache. Wir Männer arbeiten …« Er legte Colin die Hand auf die Schulter. »… mit Kopf und Händen, ganz nach Bedarf, und so ist immer genug Geld da. Ihr Frauen kümmert euch darum, dass die restliche Zeit so angenehm wie möglich abläuft. Dafür waren früher der Fernseher zuständig oder Affären. Keine Alternativen, die sich mit meinem Weltbild vertragen. Sind die Gruften nicht ordentlich geschmückt? Ich liebe Blumen, Gestecke und Kerzenlicht. Wenn sie ordentlich und sauber sind, ihr wisst schon, Feng Shui.«
Mama ließ ihren Blick über die Grabreihen schweifen. Colin hatte den Eindruck, dass sie am liebsten in die nächste offene Grube gesprungen wäre, aber anscheinend fand sie keine. »Colin ist schon 17«, sagte sie nach einer Pause. »Er kann bald arbeiten.«
»Wunderbar«, sagte Länglich. »In meiner bescheidenen Firma ist sicher eine Stelle für dich frei. Wie klingt das?«
»Okay«, sagte Colin. Das ganze Gerede über Arbeit drückte auf seine Stimmung. Vielleicht waren es auch die Gräber mit ihren verwelkten Kränzen und funzeligen Windlichtern, er wusste es nicht genau.
»Du kannst erst mal mit einem Praktikum anfangen, und wenn dir die Arbeit gefällt, bekommst du einen richtig soliden Vertrag. Mit Kündigungsfrist und allem Pipapo. Von deinem Gehalt wirst du am Anfang nicht die Welt kaufen können, nicht einmal ein Bundesland, haha, aber jeder fängt mal klein an. Und du spürst dann das erhebende Gefühl, die monetären Früchte der Arbeit deiner Hände in selbigen zu halten.«
»Da freut er sich bestimmt«, sagte Mama. »Was ist eigentlich mit Ihrer … deiner Exfrau?«
»Was soll mit ihr sein? Sie ist nicht der Rede wert.« Länglich machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Was hat sie falsch gemacht?«
Kies knirschte unter sechs Schuhsohlen, während Colin
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