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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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laut, aber glasklar, quillt aus meiner Lunge, mitten in deinen Redefluss hinein. Deine Brust hebt sich, senkt sich, ein Prinzenlächeln, böse bist du mir nicht. Du kennst meine Ausnahmezustände. Ich halte deinen Arm fest, lasse dich meine Fingernägel spüren, zeige kurz die Zähne.
    »Spinner«, lese ich von deinen Lippen.
    Was ich dann tue, passiert nicht einfach so. Ich will, dass du Zeit hast. Zu fühlen, zu denken oder mich zurückzuweisen. Dein möwenweißes Hemd ist am Kragen ein Stück offen, so dass ich leicht hineingreifen kann. Nur ein klein wenig Gewalt ist nötig, damit dein Kopf sich mir entgegenneigt. Du hebst die Hand, um meine Wange zu berühren, um mich zurückzuhalten, ich weiß nicht warum. Ich warte. Deine Hand bleibt in der Luft stehen, Gleitflug, sinkt langsam in deinen Schoß zurück. Deine Lippen öffnen sich. Mit der Zunge gebe ich dir all deine Schriftzeichen zurück. Wieder und wieder kann ich deine Zungenspitze fühlen, eine kräftige Gegenströmung, wetterwild, atlantikgrau. Ich erinnere mich nicht an den ersten Kuss von dir. Im Schnee vielleicht. So muss er gewesen sein.
    Als der Kuss in unsere Münder zurückebbt, teilen wir einen langen Blick, prüfend, angriffslustig. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Peer uns wieder im Fokus hat, süffisant oder einfach nur besoffen lächelt. Keiner sagt etwas. Die Tabakblonde kommt zurück und schenkt mir einen Blick, der so zäh an mir klebt, dass ich das Gefühl habe, ihn abwischen zu müssen. Was sie gesehen hat, weiß ich nicht. Nur den langen Blick oder mehr. Du versuchst jedenfalls nicht, irgendwas zu erklären. Ich verabschiede mich von Damla. Für Sekundenbruchteile habe ich Lust, auch sie zu küssen, gegen ihren Willen ihre Lipglosslippen mit meinen zu ersticken, nicht dich, sondern sie gegen die muschelweiße Wand zu werfen, ihren lebhaften Hals, ihre tabakblonden Hüften zu erobern, wie man es in Filmen sieht.
    Sie gibt mir widerwillig ihre Hand. Hat etwas gewittert. Aus der seidigen Perserkatze ist eine Frau geworden, eine Frau, die plötzlich Fragen hat, Angst, eine Frau wie ich. Ihr Lächeln hat einen Knick bekommen. Mir fällt auf, dass in ihrem hübschen Fell einige Kilo Übergewicht stecken, ich stelle mir Damla als Kind vor. Sie ist nie in Baumkronen geklettert, denke ich, weiß nicht, dass das Blätterrauschen dort oben völlig anders klingt. Sie hatte keinen Moritz, will nicht schmutzig werden, nicht fallen. Bestimmt spielte sie mit Puppen.
    Dann geht ein Ruck durch Damlas Miene, ihr Lächeln verbreitert und verhärtet sich. Sie säuselt ein Bisdann, ohne mir in die Augen zu sehen. Gleitet elegant zurück in ihre Katzenrolle. Der Vorhang fällt. Die Vorstellung ist vorbei, und Damla tut so, als hätte sie mich nicht gesehen.
    Peer will mich nach Hause begleiten. Ich lehne höflich ab. An ihm vorbei beobachte ich, wie Damla in ihrer Sofamulde anlandet. Sie vertäut ihre Finger fest an deinem Arm. In meinem Kopf herrscht verblüffende Klarheit, ich werde jetzt bei euch sein, denke ich. Wenn sie ihre Varietégeschichten gluckert, wenn sie ihre Feinkostwelt vor dir ausbreitet, werde ich bei euch sein. Keine Angst, wie immer.
    Als Peer mich loslässt, merke ich erst, wie schwach ich auf den Beinen bin. Ich gehe wie auf Schwämmen um den Tisch, halte mühsam das Gleichgewicht. Du siehst es. Dein Abschiedsblick ist kurz und wachsam. Ich versetze dir einen kleinen Stoß vor die Brust, wohl wissend, dass Damlas Territorialalarm blinkt. Ich tue es ja nur, um in meiner bodenlosen Welt nicht ganz allein zu sein. Die Fröhlichkeit im Gesicht zu behalten, bis ich mich umgedreht habe, kostet mich erhebliche Kraft. Als ich schließlich zum Ausgang wanke, kommt mir die Paillettenfrau entgegen. Sie studiert meine Züge sehr genau. Ich nicke ein Wiedersehen. Ihr Lächeln hängt in der Schwebe.

Schillernde Käfer
    Mein Gesicht ist ein Gesicht zwischen anderen Cafégesichtern, ich erkenne mich nicht sofort in dem Spiegel gegenüber. Eine halbe Sekunde lang sehe ich stattdessen ein fremdes Mädchen, ein blasses Großstadtkind. In seinen Augen, zwischen weit aufgespannten Kajalstrichen, glimmt etwas, ein Kohleblick, etwas zwischen Glühen und Verglühen, gierig. Ich finde das Mädchen schön, eine halbe Sekunde lang. Danach gehört das blasse Gesicht wieder mir, die winzige Chance, mich von außen zu sehen, ist vorbei.
    Später, in der Toilette, versuche ich das Fremdsehen noch einmal. Natürlich gelingt es mir nicht. Die Augen im Spiegel bleiben

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