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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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wollen. Wolle nicht aufgeben. Sei jetzt wieder bei dir.
    Wir sehen uns nächste Woche, Mittwoch, schreibst du. Ich weiß immer noch nicht, ob ich hingehen soll. Oder den Zug nehmen. Ich suche nach Ortschaften an der französischen Küste, die leicht zu erreichen sind.
    Ich finde auch Bilder von Damla im Netz. Feinkost so und so. Paradiesgasse. Die stolze Besitzerin hat den Glanz einer reifen Frucht, lächelt mir mutig ins Gesicht, in ihren Händen Olivenölflaschen und Ingwer. Sie strahlt eine Wärme aus, die ich niemals haben werde. Vermutlich steht sie gerade in deiner Küche und kocht. Leckt den Löffel ab. Greift in deinen Kühlschrank, als wäre es ihrer.
    Seit heute Morgen habe ich meine eigene kleine Damla im Kopf. Sie zeigt sich aufreizend. Ich muss oft an sie denken, sie springt mich an, wenn ich sie vergesse. Sie schwingt mir ihr Haar ins Gesicht, hebt ihre kleinen Patschefinger, wedelt mir ihren Süßgeruch entgegen, liebt die Aufmerksamkeit. Ich schenke sie ihr. Wie die echte Damla wippt sie im Damenschritt auf dich zu. Tapeziert deine Wände mit ihrer Weiblichkeit. Verteilt ihre Kleider über deine Sofas und im Bad.
    Ich sitze im Hintergrund, auf deinem Fensterbrett, ein magerer Schatten. Das eine Bein habe ich draußen in den Straßen, im wirbelnden Schnee, der mitten im Sommer fällt und mir eine Gänsehaut macht. Das andere Bein habe ich untergeschlagen. Ich habe nie mehr Raum als eine Katze gefüllt. In Wirklichkeit bin ich das Mistvieh, denke ich, ein dünnes, lausiges obendrein, das kommt und geht, wie es will. Damla dagegen ist die Frau, die Fulltimefrau, die saftige, der Fruchtfleischhappen, der Feinkostschnitz. Kein schmächtiges Dreiviertelweib wie ich.

Salamanderfinger
    Der Kick des Abends ist Knäckebrot essen unter der Dusche. Rasch zerknabbere ich das Plattenbrot, damit es nicht vom Wasser schlaff wird. Krümel fallen in die Duschwanne und wirbeln durch den Abfluss. Natürlich reicht es nicht, um satt zu werden.
    In der Küche begegne ich Lutz. Er trägt ein ärmelloses Shirt, seine Gelenke sehen groß und knochig aus. Ich wünschte, seine Haut wäre sommersprossiger, auch auf den Schultern, dann würde er Moritz noch ähnlicher sehen. Ich beobachte, wie Lutz’ Amphibienfinger durch den Kühlschrank wandern, die Folienhaut eines Pastatellers perforieren, die Knöpfe der Mikrowelle bedienen.
    Wenn die Eltern nicht zu Hause waren, teilten Moritz und ich uns oft ein vorgekochtes Mittagessen und schlugen anschließend im Kinderzimmer unser Lager auf. Wir trugen Plastikpistolen unterm Hemd und Hüte, die lose auf unsere Rücken baumelten. Unsere Geschichten wuchsen gern ins Wohnzimmer hinunter, über die karierte Polstergarnitur hinweg, oder in die Waschküche, wo unsere Gummistiefel standen, vier himmelblaue Regentreter, und wo die gebrauchten Vaterhemden über einem Klappstuhl hingen. Einmal nahm unser Spiel das gesamte Haus ein und wäre sicher weitergewuchert, die Straße hinunter, in den Wald hinaus, hätte es nicht in der Küche eine schicksalhafte Wendung genommen. Es endete mit zwei sterbenden Desperados, denen je ein Faden roter Grillsoße aus dem Mundwinkel lief.
    Lutz verputzt seine Pastareste und lächelt mir ins Gesicht. Mir wird klar, dass ich ihn die ganze Zeit beobachtet, Worte, ich weiß nicht welche, gewechselt habe. Seine Froschaugen leuchten.
    Als ich die Treppen hinaufsteige, höre ich von unten Lutz’ Aufräumgeklapper und von oben das Schleichen meines Bruders. Er kommt mir auf dem Flur entgegen, mit gezückter Waffe. Ich bemerke absichtlich nicht, dass er dort lauert, laufe ihm willig in die Falle. Ich will seinen Griff um meine Handgelenke fühlen, seine kühlen Salamanderfinger. Sein Arm, der sich um meinen Hals legt, ist kaum kräftiger als meiner und trägt einen weichen Flaum. Seine Haut riecht nach Creme. In meiner Fantasie riecht sie nach Lagerfeuer und Leder. Keine falsche Bewegung. Komm mit. Er entwindet mir meine Waffe, entführt mich ins Kinderzimmer und wirft mich aufs Bett.
    Ich schließe die Zimmertür und raffe mich auf, das Telefon hinterm Clubsessel zu bergen. Ich zähle die entgangenen Anrufe. Den Tag über war das Telefon wieder abgestellt, Erreichbarkeit erscheint mir in den letzten Tagen immer unattraktiver. Wenn ich aus einer schlechten Laune ans Telefon gerissen werde, bin ich für Gespräche völlig unbrauchbar. Stimmlos, kurz angebunden und unhöflich. Also telefoniere ich lieber gar nicht.
    Erst kommt die Nachfrage eines Festivalmanagers. Ich

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