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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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meine Augen, unruhige Grüntöne im Wettstreit, altvertraute Tiefe, und glühen nicht. Mir ist schlecht. Statt der Toilettenspülung höre ich Damlas Lachen. Gekicher und Getuschel in meinem Kopf. Schließlich das Geräusch deines Atems, stoßweise, hastig, während Damla sich auslöffeln lässt wie ein gekochtes Schalentier. Ich bin nicht mehr in einer Cafétoilette, sondern in einem Bett, mitten zwischen euren puterroten Häuten.
    Um zurückzukommen, schneide ich Grimassen. Zurück. Zu mir. Dann liegt mein Gesicht wieder still. Ich sehe hungrig aus. Schmerz macht die Augen groß.
    Auf meiner Wange ist außerdem ein roter Striemen. Unterm Wangenknochen, ein Fingerglied lang, ein kleines Zeichen. Ich untersuche es. Die Haut ist gerötet und glatter dort, glänzt ein wenig. Eine Verbrennung. Ich habe nichts gespürt, weiß nicht woher, gestern war sie noch nicht da. Ich lege zum Test die heiße Handfläche auf. Ja, es brennt ein wenig. Woher nur. Im Schlaf verbrennt man sich nicht die Wange. Ich stelle mir vor, wie jemand in mein Zimmer schlich. Etwas glühte in seiner Hand. Er setzte sein Brandmal geschickt und schnell. Jetzt gehörst du mir. Mir schaudert.
    Zurück an meinem Cafétisch, muss ich immer wieder meine Wange berühren. Das blasse Mädchen im Spiegel tut dasselbe und verschlingt ein Croissant zu seinem Cappuccino. Wieder und wieder sieht es mich an, sendet wütende Blicke. Ich beschließe, nicht mehr hinzusehen. Könnte ich mich nur beobachten, denke ich, wie ich die anderen Cafébesucher beobachten kann. Wie den alten Kreuzworträtsler, der immer wieder zur Türe schaut, als erwarte er jemanden. Wie das Pärchen am Ecktisch. Wie den Studenten mit dem Spiegelei, der Dantes Göttliche Komödie liest. Es liegt etwas wie Zauber und Anmut über dem Leben anderer Leute. Sie haben einen Vorschuss an Interessantheit, allein deshalb, weil sie Fremde sind, Nichtichs, unbefleckte Areale.
    Ich verbringe den restlichen Tag im Bett, Teebeutel stapelnd und den Laptop im Schoß. Nachrichten tippend, Nachrichten empfangend. Die Seiten meiner Bekannten durchstreifend und auf unbekannte Seiten abdriftend. Tagebücher und Blogs lesend, wahllos die Ergüsse der Welt schluckend.
    Ich schaue mir die Menschen im Netz an. Wie freigebig sie sind. Ihre Bilder, ihre Selbstdarstellung, ihre Bekenntnisse. Ich benutze sie wie Füllschaum für meine Leere. Mein Rechner baut die Seiten auf, sekundenschnell, Zeugnisse anderer Existenzen. Klassisch oder kunterbunt oder goldumrahmt. Massiv oder zarttexturiert. Wohlsortiert oder wahllos. Überall, wo die anderen sich ausbreiten, bin nicht ich. Das stundenlange Einverleiben ihrer Seiten ist ein Grenzgang. Ich fülle mich mit dem, woran ich aufhöre. Betäube mich von innen heraus. Versuche es zumindest. Immer wieder spüre ich Stiche, eine heftige Bewegung, ein Aufbäumen in meiner Brust. Wie sich da etwas windet, wie es sich wehrt, endlich gefühllos zu werden. Ich schiebe ein weiteres Kissen hinter meinen Rücken, nehme einen Schluck Tee und mache weiter.
    Die Welt ist voll von schillernden Käfern wie mir. Es ist ein hoffnungsloses Krabbeln und Drängen, ein Schwirren und Flügelschlagen. Ich öffne die Seite einer Musikerin, die hier aus der Gegend kommt. Seit ich in einem renommierten Musikmagazin von ihr gelesen habe, kultiviere ich eine Art Neid auf sie. Sie hat Preise gewonnen. Sie reist. Immer wenn ich auf Plakaten, in Eventkalendern oder in der Presse ihr Gesicht finde, gehe ich vor den Spiegel und fühle mich ein Stück wertloser. Sie ist mein Maßstab geworden, und ich habe keine Ahnung, warum. Mein Stolz reißt sich an ihr die Pulsadern auf, sie ist gerade scharf genug. Dabei kenne ich sie nicht, kenne nicht mal ihre Musik, nur die eine Single, die ständig im Radio läuft.
    Die Onlinezeitungen indessen sind voller Katastrophenmeldungen, Überschwemmungen, Erdrutsche, Erdbeben. Auf der anderen Seite der Erde gerät ein Atomkraftwerk außer Kontrolle, stündlich kommen neue Hiobsbotschaften hinzu, Bildergeschichten verbrämen das Elend, ein kleiner Junge mit Mundschutz starrt mir aus einem Haufen schmutziger Plastikfolien entgegen. Ich studiere die aufgebrachten Kommentare, die bestürzten, die fatalistischen.
    Dann kommt eine Nachricht von dir. Du hast dein Versprechen gehalten. Damla sei fassungslos gewesen. Habe geweint. Käme sich wie eine Idiotin vor. Sei enttäuscht davongerannt. Nach ein paar Stunden, als die Sonne wieder aufging, habe sie dich angerufen. Habe reden

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