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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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hinein, als hättest du für dieses Wort lange überlegen müssen.
    »Warum wolltest du mich dann überhaupt sehen?«, flüstere ich.
    Du rollst neben mich auf den Teppich. Dein Seufzen wäscht wie Regen in die Reste meiner Glut. Du vergräbst dein Gesicht an meinem Hals.
    »Weil ich dich sehen wollte«, sagst du schlicht.
    Ich bin kein Wesen aus Rauch und Duft. Aber du atmest mich ein, als wäre ich eines. In kleinen Kringeln sinke ich in die Tiefe deiner Lungen.
    »Nichts ist entschieden. Ich will dich nicht verlieren. Nicht dich. Nur will ich Damla«, du suchst nach Worten, »wenigstens eine Chance geben.«
    »Und sie weiterhin ins Bett kriegen.«
    »Ja«, sagst du schlicht.
    Durch die Jalousien fallen lange Sonnenstreifen. Wenn ich die Augen schließe, schnurrt das Licht zu pulsierenden Mustern zusammen. Hibiskusblüten und Jasmindolden umschwirren uns. Deine Hand gleitet in meine Armbeuge. Mein Kopf rollt wie durch rotes Moos. Du saugst meinen Geruch ein, als hättest du eine Art Duftspeicher in deinem Inneren, eine große Erinnerungsmaschine, die betankt werden muss.
    Bald darauf stehe ich auf. Lege mein Fremdenkostüm wieder feinsäuberlich an. Du und der Spiegel beobachten jede meiner Bewegungen. Und plötzlich, als keine Zeit mehr ist, strömt alles auf mich ein. Da stehst du. Kaffeeliköraugen, Diebeshände und Rabenhaar. Dein Hemd wirft seine Falten wie gemeißelt. Ich will alles tun, alles sagen, will dich ersticken mit meinem Hibiskus und Jasmin, will meinen Rauchkringelleib ein letztes Mal bis zum Anschlag in deine Lungen stoßen.
    Aber das Tuch umhüllt bereits mein Haar, die Brille verschattet schon meine Augen. Ich lächle nur und schließe hinter mir die Tür.

Scharfzeichnen
    Ich mochte das immer, auf deinem Bett liegen und mein verwaschenes Gedächtnis von dir scharfzeichnen zu lassen. Ich staunte. Du erzähltest mir Geschichten aus meinem Leben, an die ich mich selbst nicht erinnerte. Wie ich mit einer Spraydose deine Hose ruinierte, wo ich meine erste Bloody Mary trank, wie ich Matti im Mokusei eine Ohrfeige gab. Du kannst mir meine Meinung zu Filmen hersagen, deren Handlung ich längst vergessen habe. Du bist nicht nur mein Geliebter, du bist mein Gedächtnis.
    Ich frage mich, ob du mich inzwischen besser kennst als ich mich selbst. Ich vergesse so viel. Du könntest mir meine Geschichte verkaufen, wie immer du willst. Ich würde auf deinem Bett liegen und dir glauben. Aber ich liege weder auf deinem Bett, noch bist du da. Bist wahrscheinlich im Feinkostwunderland. Ich habe nur den Geruch deiner Hände in der Nase, Mandelseife, Nudelwasser.
    Leise und fern höre ich Hundegebell. Es könnte im eigenen Kopf sein. Meine Zunge klebt im Gaumen wie ein Streifen Löschpapier. Der Schlaf hat mich in einer öden Strandlandschaft ausgespuckt. Ich habe großen Durst. Im Bad schlucke ich Mund um Mund voll Leitungswasser. Es ist ein unbekannter und quälender Durst, der sich nicht stillen lässt. Ein blasser Halbmond hat die Nacht überlebt und schielt im steilen Winkel herein. Ich frage mich, was ich geträumt habe. Beim Frühstück, das aus kaltem Grießbrei und einem Zigarillo besteht, erzählt sich mein Kopf von getrocknetem Seegras, von Sand in den Kleidern, von salzigem Wind, der mir das Hundegebell zugetragen hat.
    Auch mein Verlobter erinnert sich wortgetreu an Formulierungen, die ich einmal irgendwo verwandte. Zuletzt bewies er diese Fähigkeit vor drei Tagen, als wir uns beim Inder trafen. Wörter, sagte er, seien seine Welt. Nur deshalb könne er mir herzitieren, was ich hier und da gesagt habe. Er trug ein Jackett und bezahlte anstandslos die Rechnung für uns beide.
    Ich vergesse tatsächlich viel. Ich bräuchte wahrscheinlich vier oder fünf solcher Gedächtnispagen, wenn ich mein Leben einigermaßen vollständig behalten wollte, denke ich. Aber wer will das schon. In vielerlei Hinsicht interessiert mich meine Vergangenheit nicht.
    Ich hatte auch vergessen, dass das Badezimmer meines Verlobten akustisch mit einer ganzen Großstadtkulisse auffährt. Aus den Lüftungsschächten dringt Rauschen, Rattern, Scharren, man hört Nachbarn baden, singen und sich streiten. Sobald das Licht im Bad länger als eine Minute brennt, läuft außerdem ein Ventilator an, der über der Toilette in die Wand eingelassen ist. Das Anspringen dieses Lüfters macht einen unheimlichen Tonsprung aus der Tiefe herauf, ein Geräusch, zunächst undefinierbar, das sich von unten ins Bewusstsein schleicht, und ich erschrecke

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