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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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jedes Mal wieder. Die Heizung macht untermalende Keuchgeräusche.
    Als ich auf der Toilette meines Verlobten saß, im winzigen Badezimmer des Mannes, von dem ich ein paar Wochen lang glaubte, ihn heiraten zu wollen, bemerkte ich, dass ich es tatsächlich geschafft hatte, in eine Vergangenheit zu reisen, die mich nicht mehr interessierte. Ich schluckte das flaue Gefühl hinunter. Da war keine Selbstverachtung, mir war längst klar, dass ich seine Einladung nur angenommen hatte, weil sie Ablenkung versprach. Mein Verlobter ist ein angenehmer Gesprächspartner, und ich liebe gutes Essen, sei es indisch oder sonst was. Nur dieses flaue Gefühl, in dieser Badezimmerhöhle nichts mehr verloren zu haben, ließ sich nicht mehr abschütteln. Zum Trost rechnete mein Verstand mir aus, dass es belanglos war, ob ich stattdessen mit Borg ins Kino gegangen wäre oder eine Nacht lang vorm Rechner gesessen hätte. Morgen würde ich den Bassmann treffen und meine Gitarren spielen. Dann wäre diese Nacht so vergangen und egal wie eine Schönschreibstunde meiner Grundschulzeit. Morgen würde alles in Ordnung sein.
    Unterdessen wisperten die Surrgeräusche des Ventilators mir dreiste Schmeicheleien zu. Für einen Moment schauderte mir, Gänsehaut, als würden hinter der Abdeckung die fast vergessenen Götter stecken. Ich beeilte mich, meine Hose hochzuziehen. Mit einem gezielten Blick hinters Lüftergitter versuchte ich, den Schacht zu entmystifizieren. Nur Staub und Dunkelheit starrten mir entgegen.
    Ich spritzte Wasser in mein Genick und trat wieder zu meinem Verlobten hinaus. Er nippte immer wieder aus einem Sektkelch, hatte mir ebenfalls eingeschenkt. Dass ich anschließend mit ihm schlief, geschah nicht aus Langeweile, eher aus Pflichtgefühl. Das Essen war teuer, und es wäre schäbig gewesen, den Mann unbedient zu lassen. Zumal er gut roch, kein schlechter Liebhaber war und der Sekt eine sorglose Heiterkeit verbreitet hatte.
    Ich verabschiedete mich überschwänglich und mit vielen Küssen. Schlüpfte zurück auf die Straße. Meine Schritte auf dem Asphalt klangen wie eine Klaviermelodie in meinen Ohren, andante, stet und fließend. Ich ging auf einem Teppich blaugetupfter Töne.
    Es gibt Melodien, die repetitiven, wenig bewegten, in Blaugrün und Abendrot, die klingen wie der Puls der Welt. Als hätten sie immer schon gespielt. Perpetua mobilia, ein Quellen und Quellen, magische Springbrunnenmusik. Eine solche Melodie lag in meinen Schritten, der Mond schwamm im Nebel, ein kalter Milchfleck in der Nacht, und ich fühlte mich scharf umrissen, eine Comicfigur, die daumengroße Heldin in einem Strip für Götter. Meine Nippel rieben an der Bluse, mein Haar wippte locker in seinen Spangen, und die Linien, mit denen meine Beine gezeichnet waren, hatten einen seltenen Schwung. Wenn meine Gedanken zu dir und Damla wanderten, konnte ich sogar die Denkblasen sehen, die hinter mir durch die Nacht schwebten wie ein Bündel heliumbefüllter Ballons.

Mondnelke
    In meinem Gesicht sind immer wieder kleine Wunden. Sie tauchen einfach auf, wie die winzige Verbrennung unter meinem Wangenknochen. Kleine Zeichen, kleine Hauträtsel. Sie kommen über Nacht und verschwinden über Nacht. Oft vergesse ich zu essen. Überhaupt gehen einige Routinen flöten.
    Blaum teilt wie selbstverständlich seine knappe Zeit mit mir. Er kocht. Er nimmt mich mit aufs Land. Nur wenige Andeutungen genügen, und er weiß, was los ist. Er pflückt mich aus dem Strudel wie ein loses Blatt. Im Stall seiner Schwester streichle ich Pferde. In seiner Küche helfe ich Äpfel schälen. Angefixt, denke ich, von seiner Aufmerksamkeit und Geduld, von zweihundert Quadratmetern Parkett, Eiche Fischgrät, von Gesellschaft, gutem Essen und Wein. Sein Kaffeeautomat schnurrt, seine Rasierseife duftet, seine Azaleenbüsche wachsen mir über den Kopf. Es ist gespenstisch.
    Ich wollte Blaum für oberflächlich halten, für verwirrt, für schwach, aber es gelingt mir nicht mehr. Oft, nach den Proben, drücke ich den goldenen Klingelknopf, lächle in die Kameralinse, wenn der Türöffner surrt. Es ist einfach geworden, ja und ja zu sagen, seit du weg bist. Sogar ein eigenes Zimmer lässt mir Blaum, mit Gartenblick und eigenem Bett. Ich darf bleiben und schlafen, während er Geschäftstermine wahrnimmt. Zum Abschied küsst er mich auf die Stirn, manchmal legt er frische Erdbeeren oder etwas Geld auf den Küchentisch.
    Er baut einen goldenen Käfig, denke ich, dessen Tür immer offen steht.

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