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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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die Augen. Ich möchte in einem Wintergarten aus buntem Glas sitzen, denke ich. Das Licht steht wie Pinselstriche im Raum. Palmen und Farne rascheln leise. Zwei Flügeltüren sind weit offen. Ein Pfau schreit. Irgendwo im Traum, irgendwo gibt es diesen Ort.

Stunden aus Glas
    Die Zeitfenster, in denen du nicht tun kannst, was du eigentlich tun wolltest, sind oftmals die besten. Diese Zeitfenster des Nichtstuns. Die halben Stunden, in denen du, unvorhergesehen, zur Muße verdammt bist, halbe Stunden aus Glas, transparent und ungefüllt.
    An Ennios Musikladen hängt ein Zettel. In dreißig Minuten zurück, steht da. Musik von Fauré wollte ich. Noch mal in die Goldlaube lohnt sich nicht. Ich hole mir einen Pappbecherkaffee und tändle an Schaufenstern und Blumenbeeten entlang. Immer wieder bewundere ich den Bordürendruck auf dem Schwung meines Rocks, meine Kontur in den Schaufensterscheiben, versuche sie zu sehen, als wäre sie nicht meine. Die Kunst, Eigenes zu betrachten, als wäre es Nichteigenes, muss jeder Selbstdarsteller beherrschen.
    Meine Sinne lasse ich sperrangelweit offenstehen. Das Leuchten der Wolken. Das seidige Rutschen des Rockstoffs. Der Geruch frischen Gebäcks. Sie lenken mich ab. Lullen mich ein. Lösen mich auf. Wir brauchen einen Hit, sagt der Bassmann in meinem Kopf.
    Ich tripple über den Rand eines Blumenbeets. Das Beet treibt als weißes Nelkenschiff auf dem Fußgängerfluss. Es gibt auch Kornblumenboote. Und Beete mit Blumen, die ich Narzissen nenne, auf Verdacht. Lilien, Buschwindröschen, Lupinen, die Blumennamen schwirren wie aufgewirbelte Federn durch meinen Kopf. Freesie und Frauenschuh, mit den Namen von Edelsteinen, Fröschen und Libellen geht es mir ähnlich. Die Namen haben Farben, Gerüche, ein freches Eigenleben. Vom Nelkenschiff balanciere ich weiter auf ein Narzissenboot, die Leute taxieren mich, Männer und Frauen gleichermaßen. Ich springe von der Reling und schwimme weiter.
    Es gibt Tage, an denen mir mein Spiegelbild sagt, dass ich mich schminken sollte, in ein Paar Stiefel schlüpfen und die Einkaufsmeilen hinunterstiefeln, bis ich gefunden habe, was ich will. An solchen Tagen gibt es immer etwas, das ich will. Vielleicht ein Set Absinthlöffel, vielleicht eine gelbe Sonnenbrille. Außerdem gibt es Dinge, von denen man nicht zu viel haben kann, gute Musik zum Beispiel oder geschmackvolle Klamotten. Einkaufen lohnt sich immer.
    Ich durchquere die illuminierten Werbewelten. Die Parfümerie, daneben Feinstrumpfhosen und Ringelsöckchen, eine hochglänzende Zeitschriftenwand, Schmuck. Ich lasse mich von trippiger Musik bespülen, von Details, ein Messingknopf hier, ein Spitzenband da. All die Oberflächen, geschliffenes Kristall, gefärbtes Leder, ich sammle Eindrücke. Was mir ins Auge sticht, wird näher untersucht, ich filtere heraus, was taugt. Ich suche nicht sehr detailliert nach irgendwas. Ich frage keine Verkäufer. Betrete ich einen Klamottenladen, verlasse ich mich auf Instinkte. Ich kann Ansammlungen von Sachen überfliegen wie Wörter. Passt etwas ins Raster, riskiere ich einen zweiten Blick, und bleibt die Sache interessant, wird angefasst. Die allermeisten Dinge fallen schon beim Anfassen durch, zu grob, zu leicht, zu synthetisch. Sollte sich, was auch immer, jedoch gut anfühlen, folgt nähere Untersuchung, gegebenenfalls Anprobe. Dabei fliegen noch mal fünfundneunzig Prozent raus. Aber sollte mir tatsächlich etwas in den Kram passen, voilà, gekauft. Ich vergleiche nicht viel, Ninjashopping, so könnte man das nennen.
    Ich bewege mich oft am Rande der Kultur. Suche Musik, die nicht mehr lieferbar ist oder es niemals war. Will Klamotten, die so nicht hergestellt werden, stelle mir Material und Schnitte und Muster vor, die es nicht gibt. Ich wünschte, genug Geld zu haben, mir einen eigenen Schneider leisten zu können, ein eigenes Plattenlabel und am besten einen Nachtclub dazu. Umso aufgeregter bin ich, wenn ich trotzdem finde, was ich will. Es kommt vor, dass mir die Finger zittern, beim Bezahlen des perfekten Pulswärmerpaars oder beim Auspacken einer extra für mich eingeschifften Kompilation.
    Ich verlasse das Kaufhaus. Eine Kleopatra in engen Jeans kommt mir entgegen. Ihre Nase glänzt im Sonnenlicht, sie sucht meine Augen. Unsere Wellenlängen kommen in Konflikt, irgendwie, wir funken uns gegenseitig dazwischen, zwei Schlachtkreuzer im All. Ich kann fühlen, wie sich ihre Masse verdichtet, als sie an mir vorbeifliegt. Ich schiebe die Sonnenbrille auf

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