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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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nicht aus dem Weg ginge?«
    »Dann gibt es ein Duell.«
    »Dann stirbst du.«
    »Oder er.«
    Ich gebe Blaum einen Stoß in die Rippen. Er schnappt sich meine Hände, fixiert sie und sagt, dass jetzt Schluss sei. Ich kaue eine Weile auf meinen Lippen. Ein Schuss Gewalttätigkeit lag schon immer in meiner Zuneigung. Wen ich nicht liebe, will ich auch nicht schlagen. So wie ich nach der Nacht am Entensee am liebsten deine Schultern zerfleischt hätte, deine Lippen zerbissen, nur um deinen Körper unter voller Spannung zu fühlen. Um deine Stimme entgleisen zu hören. Um Beweise zu haben, dass es dich und mich wirklich gibt.
    Dass ich in dieser Nacht oft und grundlos erwache, liegt vielleicht an der fremden Wohnung. Ich bekomme Kopfweh, verkrieche mich in Blaums Aftershaveduft, so gut es geht, balanciere auf seinem schweren Atem. Aber je enger ich mich an seine Seite schmiege, desto weniger Halt finde ich. Ersetzbar, ich fühle mich ersetzbar wie ein Bleistift, wie eine Krawattennadel. Erst als ich aufgebe, diesem Mann nahe sein zu wollen, als ich in meine Betthälfte zurückrolle und mir vorstelle, ich läge allein in einem Hinterhof, unter großen Pappschachteln, unter dreckigen Wolldecken, schlafe ich ein.
    Beim Frühstück fühle ich mich leer. Blaum ist morgens genauso still wie ich. Er hat keine Eier da, kein Brot, nichts. Wir machen Kaffee und finden ein paar Lachsreste, über die Blaum herfällt wie ein hungriger Kater. Für mich bleibt kaum etwas übrig.
    Nach einer Tasse Kaffee wird Blaum gesprächiger. Er stellt ein paar Fragen, die haarscharf die Smalltalkgrenze überschreiten. Für einen Moment möchte ich ihm alles erzählen. Von Moritz, von der ausgebrannten Scheune, vom Wegbrechen des schwarzen Holzes, von der Psychiatrie, auch von Damla und dir und dass ich am liebsten den Zug nehmen würde, weg, ans Meer, in die Dünen. Blaum neigt sich vor, das Blau seiner Augen ist heute dunkel und fleckig. Ja, lass uns weggehen, würde er sagen, wir fahren ans Meer. Er wartet nur darauf. Sein Blick liegt wie eine Angel in meiner Seele. Aber ich schweige. Bleibe jenseits der Grenze, weiche aus, bleibe freischwebend im luftleeren Raum dieses Morgens.
    Als Blaum aus dem Bad kommt, riecht er nach Zahnpasta, außerdem ist sein Rasiergeruch und das Haargel erneuert. Er hat ein neues Hemd an und eine kornblumenblaue Krawatte. Dass er gleich losmüsse, sagt er. Weil mein nächtliches Kopfweh nicht ganz abgeklungen ist, bitte ich um eine Schmerztablette für den Heimweg. Er sagt, dass Tabletten im Bad liegen, und verspricht mir, beim nächsten Mal besser aufs Frühstücken vorbereitet zu sein. Champagner habe er immer da, sagt er lachend.
    Ich taumle ins Bad und schlucke das Medikament. Aus dem Spiegel streift mich mein eigener Blick. Ich sehe genauer hin. Der Strich auf meiner Wange ist weg. Kein Zeichen mehr, kein Brandmal. Ich gehöre wieder nur mir.

Rotes Moos
    Die größte Sonnenbrille, die ich habe, ist kaum groß genug. Ich will die Haare hochstecken, den Trenchcoat, ein Kopftuch und die große Sonnenbrille tragen. Mich fremd fühlen in meiner Stadt. Ich habe nicht den Zug genommen. Nicht den ans Meer. Aber wenigstens fremd fühlen will ich mich.
    Du öffnest die Tür. Diesmal fragt dein Blick nicht um Erlaubnis, bevor du mich in die Arme schließt. Du weißt, du hättest sie nicht bekommen. Auch mein Fremdenkostüm hält dich nicht ab. Ich hänge meinen Mantel auf, nehme das Kopftuch ab und schiebe die Brille ins Haar. Der Spiegel überm Schuhregal empfängt mich altvertraut, mit dem geschnitzten Rahmen, eine schwarze Plastikblume klebt im Eck. Ich sei spät dran, sagt die Blume. Sie sei nicht sicher gewesen, ob ich überhaupt kommen würde. Sie sei auf dem Sprung gewesen, um mich zu holen, notfalls. Ich streife meine Schuhe ab, bugsiere mein Lack neben dein Leder.
    Du habest geträumt, sagst du. Ich sei ein Pferd gewesen, eine mächtige rote Stute. Du erzählst mir diesen Traum, noch bevor ich mich hingesetzt und meine Finger in den Teppichfransen vergraben habe. Ich kann deinen Traum noch riechen, er hängt im Bettzeug, in der Luft, wirbelnder Staub, Schweiß und Flocken aus dem Fell des Huftiers. Du gießt heißes Wasser in die Teekanne und sagst, dass mein Rücken wie poliertes Kirschholz ausgesehen habe und wie lebhaft unter meiner Haut die Sehnen, Muskeln und Adern gespielt hätten. Dort in der Landschaft habe es rotes Moos gegeben, über das ich weggaloppiert sei.
    Sogar Damla habe in den letzten Tagen von mir

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