Schuld: Drama (bis Mitte Juni 2013 kostenlos)
diesem Moment entgegenspringt und an mir vorbei Richtung Treppe rennt.
Dann spüre ich, wie eine Hand nach meiner Schulter greift. „Was zur Hölle haben Sie für ein Problem?“, fragt mich der alte Mann.
„Entschuldigen Sie.“, antworte ich knapp, steige die Treppe hinunter und renne aus der Werkstatt.
Ich stehe vor dem Geländezaun und spüre, wie mich die Verzweiflung langsam von innen zu zerfressen beginnt. Resigniert lehne ich mich gegen den Zaun und atme durch.
In diesem Moment spüre ich ein Vibrieren in meiner Jackentasche. Ohne mich auf die Nummer zu achten, ziehe ich mein Handy heraus und drücke die Annahmetaste. „Hallo?“
Ein Rascheln in der Leitung, ein paar unverständliche Wortfetzen, Stille.
„Hallo? Amy? Bist du es?“.
Stille.
„Hörst du mich? Wo bist du?“
„Ich…hause...nicht…wo…“
„Amy? Amy!“
„….wo…“
Dann bricht die Leitung zusammen. Ich gehe auf dem Handy zu den angenommen Anrufen. Und kann gerade noch die ersten zwei Nullen erkennen, die langsam im sich Grau färbenden Bildschirm verschwinden. Akku leer. Wie konnte ich nur vergessen, es vor der Abreise aufzuladen?
Ich versuche, mir alle möglichen Sätze vorzustellen, die sie hätte sagen können.
Sagte sie etwa Ich bin zuhause ? Oder war es vielleicht Ich will nach Hause?
Ich weiß nicht wo ich bin?
Ich will nachhause. Ich weiß nicht wo ich bin.
Kapitel 28
Ich höre auf nachzudenken und handle von diesem Moment an nur noch instinktiv. Jede Minute zählt.
So schnell ich kann gehe ich noch einmal zurück zur Holzhütte, mit dem gleichen traurigen Resultat wie die letzten beiden Male. Dann suche ich noch einmal die Gegend um das Haus herum ab und renne schließlich Richtung Bahnhof. Ich habe keine Ahnung, wie spät es ist und darf auf keinen Fall riskieren, den Zug zu verpassen.
Kaum trete ich aus dem letzten Waldstück hinaus auf die Straße, erblicke ich auch schon den roten, alten Zug, der in diesem Moment in den kleinen Bahnhof einfährt. Ich renne los.
Meine immer noch mit Wasser durchtrieften Schuhe und Kleider machen es mir nicht gerade leicht, doch dann schaffe ich es doch noch, durch die Tür zu hechten, die sich im selben Augenblick zu schließen beginnt.
Neben der Zugabteiltür lehne ich mich an die Wand und lasse mich erschöpft zu Boden sinken.
Jemand rüttelt an meiner Schulter. Amy?
Ich öffne die Augen und schaue nach oben. Uniform. Kontrolle. Fahrschein. Mein Denkvermögen hat in den letzten Stunden stark gelitten.
In meiner Jackentasche krame ich nach dem Fahrschein, den ich für den Hin-und Rückweg gelöst hatte. Doch abgesehen von diesem seltsamen, zusammengefalteten Klassenfoto, das ich seit einigen Tagen mit mir herumschleppe und meinem akkulosen Handy finde ich gar nichts.
„Ich…“
„Sie… Ja Sie. Fahrschein bitte.“, antwortet der grauhaarige, schnurrbärtige Kontrolleur und beginnt, nervös auf seinem mobilen Fahrplangerät zu trommeln, das an einem Gurt befestigt über seiner Schulter hängt.
„Tut mir leid, ich habe ihn wohl vergessen.“
Der Kontrolleur schüttelt demonstrativ den Kopf und zückt einen dünnen, schwarzen Touchscreen-Stift.
„Tut mir leid, aber dann muss ich Ihnen jetzt wohl eine Busse ausstellen.“
Ich gehe nicht weiter darauf ein, sondern hole brav meinen Ausweis aus der Brieftasche und reiche ihn dem Kontrolleur wortlos. Noch nie in meinem Leben war mir eine Busse so egal wie in diesem Moment.
Fünf Minuten später und einen rosaroten Zettel mit meinen Angaben reicher lehne ich mich wieder zurück und schließe die Augen.
Kapitel 29
Während ich im Bus nachhause sitze, wächst in mir das Gefühl, auf dem völlig falschen Weg zu sein. Irgendetwas sagt mir, dass ich sie dort nicht finden werde. Es ist, als wäre sie unendlich weit weg. Ich habe keinen Anhaltspunkt, wo sie sein könnte. Vielleicht hat sie tatsächlich jemand entführt und ist möglicherweise schon auf dem Weg mit ihr ins Ausland. Oder noch schlimmer; vielleicht liegt sie irgendwo in den Tiefen des Waldes, frierend und verängstigt. Oder noch schlimmer, tot. Bei der Vorstellung spüre ich, wie mir plötzlich das Atmen wieder schwerer fällt. Ein Stechen in der Lunge, unerträglicher Druck in meinem Kopf. Ich versuche, einen bestimmten Punkt auf einem Werbeplakat vor mir zu fixieren und gleichmäßig zu atmen. Doch es wird immer schlimmer. Die Sitze um mich herum beginnen zu verschwimmen, der Bus scheint plötzlich
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