Schulden ohne Suehne
so große Energie darauf richtet, dieses Regelwerk zu verfeinern. So aber funktioniert Politik: Für die Politik ist das Eingeständnis eines grundlegenden, konzeptionellen Fehlers kaum möglich. Die politischen Schlüsse aus dem Versagen lauten deshalb: »Der Weg war richtig, aber wir sind den Weg nicht weit genug gegangen.«
Tatsächlich ist jeder Plan zum Scheitern verurteilt, bei dem die europäische Regierungsebene Regeln gegen den nationalen politischen Willen in mehreren Einzelstaaten durchsetzen soll. Dabei sind Gestaltungsfragen, wie sie heftig diskutiert werden, zweitrangig. Ob Sanktionen beispielsweise ohne politische Beschlüsse, also »automatisch« oder wenigstens »halbautomatisch« ausgelöst werden, oder welche Klagerechte zur Durchsetzung von Haushaltsdisziplin man welchen Personen, Gruppen oder Institutionen einräumen sollte, spielt in Wahrheit keine große Rolle. Warum das so ist, und was die bessere Alternative zu einem solchen Pakt ist, darum geht es in den nächsten Kapiteln.
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7. Zentralstaat oder Staatenverbund?
Seit die Eurozone in die Krise geraten ist, gibt es viele Vorschläge für die Europäische Finanzverfassung der Zukunft, aber nur zwei mögliche stabile Verfassungszustände. Die Vorschläge lassen sich in einem Diagramm entlang zweier Dimensionen sortieren: Einzelstaatliche Freiheit ist die eine Dimension, einzelstaatliche Eigenverantwortung ist die andere. Abbildung 5 zeigt den durch diese Dimensionen aufgespannten Politikraum. 120
Abb. 6: Mögliche Handlungsoptionen für eine Systemreform der Eurozone
Quelle: Eigene Darstellung
Jede mögliche Finanzverfassung in Europa kann entlang dieser Dimensionen in den Politikraum eingetragen werden. Aber nur zwei Punkte in dem Raum bilden eine stabile Europäische Finanzverfassung ab.
Der eine Punkt ist der Eckpunkt oben rechts. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass die einzelnen Nationalstaaten über ihre eigenen Staatsschulden – genauso wie über andere Aspekte der Haushaltspolitik – frei entscheiden können, und dass der einzelne Staat und seine Bürger die Konsequenzen der eigenen Politik auch selbst tragen müssen. Dieser Punkt kombiniert Entscheidungsfreiheit mit Eigenverantwortung. Und das ist eine Kombination, die jedem von uns bestens als eine gesunde Kombination vertraut ist. Jeder Verbraucher trifft jeden Tag eigenständige Entscheidungen, deren Konsequenzen er nicht einfach Dritten aufbürden kann. Handeln und haften gehören im privaten Alltagsleben untrennbar zusammen. Im Übrigen ist dieser Punkt im Politikraum die Finanzverfassung, die die Gründerväter des Euro vor Augen hatten, als sie die Entscheidungsfreiheit der Mitglieder in ihrer Schuldenpolitik nur geringfügig einschränkten, ihnen aber mit der »No-bailout-Klausel« die volle Eigenverantwortung für ihre Schuldenpolitik zuordneten.
Der andere mögliche stabile Punkt ist der Punkt links unten. Er kombiniert gemeinschaftliche Verantwortung für Staatsschulden mit zentral gesteuerten Entscheidungsprozessen über die Haushaltspolitik, besonders die Schuldenpolitik der Einzelstaaten. Will man dem Zustand in der linken unteren Ecke ein konkretes Vorbild geben, dann ist es vielleicht der französische Nationalstaat. Der ist durch zentralisierte Haushaltsprozesse, minimale Entscheidungsautonomie der untergeordneten Gebietskörperschaften, straffe Überwachung und ein Durchregieren in die tiefer gelegenen Verwaltungsdistrikte gekennzeichnet. In diesem Punkt haben die Einzelstaaten zwar den Anreiz für eine gründlich verfehlte Haushaltspolitik und würden sich gern hoch verschulden, um anschließend von der Zentrale umso höhere Finanzmittel für ihre Rettung zu erhalten. Die straffe zentralstaatliche Kontrolle und die geringen legalen Möglichkeiten für eine offene oder verdeckte Kreditaufnahme auf der lokalen oder regionalen Regierungsebene verhindern jedoch dieses Verhalten.
Europa hat sich seit Ausbruch der Staatsschuldenkrise mit großer Geschwindigkeit auf den Punkt »unten links« hin bewegt. So wurde beispielsweise, wie bereits im vergangenen Kapitel beschrieben, ein Paket aus sechs Maßnahmen – im E U-Bürokratensprech »Sixpack« genannt – verabschiedet, dass es Brüssel künftig ermöglichen soll, in die Haushalts- und Wirtschaftsplanung der Mitgliedsstaaten einzugreifen. Die E U-Behörde will nun mitreden, wenn es um die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes oder wirtschaftliche Ungleichgewichte zwischen Mitgliedsstaaten
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