Schulden ohne Suehne
geht. Bei weiter Auslegung ist das überall der Fall, angefangen von Steuer- über die Lohnpolitik eines Staates bis zu Bildungsreformen. 121 Man mag einen solchen Schritt Richtung zentraler Wirtschaftsregierung begrüßen, der dem hehren Ziel verpflichtet ist, die Haushaltsdisziplin zu stärken und die Gemeinschaft enger zusammenzurücken. Nach erfolgreichem Abschluss dieses Prozesses würden wir alle als wahrhaftige Europäer leben wie »Gott in Frankreich«, oder in einem Europa, das wenigstens in seiner Finanzordnung dem französischen Zentralstaat nachempfunden ist. Wir glauben aber, dass sich das Ideal eines europäischen Zentralstaats weder wirtschaftlich noch politisch realisieren lässt. Wir glauben deshalb, dass der Bund autonomer und selbstverantwortlicher Staaten die bessere Option ist. Von diesem trennt uns aber ebenfalls ein weiter Weg institutioneller Reformen. Wir behandeln die beiden Optionen nacheinander.
Eine zentrale E U-Wirtschaftsregierung ?
Betrachten wir einmal den Idealfall einer vollständigen Kompetenzverlagerung. Wichtige Entscheidungen über Einnahmen und Ausgaben, darunter die Kompetenz zur Aufnahme von staatlichen Krediten, übernimmt die Europäische Union für die Einzelstaaten. Mit einer Verlagerung zentraler Haushaltskompetenzen geht jedoch automatisch auch die »Verantwortung« auf die europäische Ebene über: In dem Maße, in dem ein Staat die Gestaltungsmacht für seine Einnahmen, Ausgaben und Kreditpolitik abgibt, kann er für finanzielle Engpässe auch weniger selbst verantwortlich gemachtwerden. Formal betrachtet erledigt sich so das Samariterdilemma: Einzelne Eurostaaten können sich einfach deswegen nicht mehr verschulden, um anschließend von den Schwesterstaaten der Eurozone gerettet zu werden, weil sie das Recht zur Schuldenaufnahme nicht mehr haben.
Der Übergang zu einer zentralistischen Finanzpolitik in Europa wäre eine wirklich große Reform, die sich nicht ganz leicht umsetzen lässt. Eine Zentralisierung der Finanzpolitik steht im Widerspruch zu dem Subsidiaritätsprinzip der EU, wonach staatliche Aufgaben soweit möglich immer auf der niedrigsten, bevölkerungsnächsten Politikebene erfüllt werden sollen, auf der sie sich vernünftig erledigen lassen. Mit der teilweisen Kompetenzverlagerung über die Haushaltsaufstellung, den Haushaltsvollzug und die öffentliche Kreditaufnahme an eine europäische Zentrale dürfte auch der Druck in Europa zunehmen, Einkommensunterschiede zwischen den europäischen Regionen auszugleichen. Die Einkommensunterschiede sind dabei recht beträchtlich. Das zeigt sich bei einem Vergleich des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf für die deutschen Bundesländer und für die E U-Staaten für das Jahr 2009, in den Abbildungen 7 und 8.
Auf einen Blick erschließen sich die größeren Ungleichheiten innerhalb der EU beziehungsweise der Eurozone. Während in Deutschland das wirtschaftsstärkste Bundesland, der Stadtstaat Hamburg, mit 48 200 Euro pro Kopf gerade einmal etwas mehr als doppelt so viel erwirtschaftet wie das ärmste Bundesland Mecklenburg-Vorpommern (21 264 Euro), klaffen zwischen Arm und Reich in der EU wahre Wohlstandswelten. In Luxemburg beträgt das BIP pro Kopf mit rund 81 000 Euro 18 Mal mehr als in Bulgarien mit umgerechnet 4 500 Euro. Selbst innerhalb der 17 Euroländer hat der reichste Staat, Luxemburg, sechs Mal mehr pro Kopf als das junge Währungsmitglied Slowakei.
Man kann diese Einkommensunterschiede einmal hochrechnen auf die zwischenstaatlichen Transfers, die in einer Transferunion – vergleichbar mit dem deutschen Länderfinanzausgleich – fließen müssten. Die Abbildung 8 zeigt die pro-Kopf-Einnahmen des öffentlichen Sektors in den 27 E U-Mitgliedsstaaten , und zwar für das von der Krise noch nicht gezeichnete Jahr 2007 als schwarzeSäulen. Es zeigen sich gewaltige Unterschiede. Der einnahmenstärkste öffentliche Sektor ist in Luxemburg verortet und hat fast dreimal so viele öffentliche Mittel wie der Durchschnitt in Europa. Der einnahmenschwächste öffentliche Sektor ist in Bulgarien. Der Staat hat dort gerade einmal 12,6 Prozent des E U-Durchschnitts zur Verfügung. Man könnte durch ein innereuropäisches Transfersystem versuchen, diese Unterschiede auszugleichen. Man könnte z. B. nur die Hälfte der Unterschiede in den Pro-Kopf-Einnahmen des öffentlichen Sektors ausgleichen. Für Bulgarien würde das bedeuten, man hebt das Einnahmenniveau auf etwa 56,3
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