Schulden ohne Suehne
etwa 27 Prozent, im anderen Fall steht Deutschland maximal bis zur Höhe der Gesamtsumme der Kreditausfälle gerade – so nämlich ist gemeinschuldnerische Haftung definiert.
Konsumglättung
Die vielleicht bekannteste Funktion hat Staatsverschuldung, wenn es darum geht, das Auf- und Ab der öffentlichen Steuereinnahmen im Konjunkturverlauf von den Staatsausgaben zu entkoppeln. Ein wirtschaftlicher Abschwung geht mit Steuerausfällen einher. Mit der fallenden Wirtschaftsaktivität gehen die Staatseinnahmen in der Regel sogar stärker zurück als das Sozialprodukt. Auf der anderen Seite steigen im Abschwung die Ausgaben der öffentlichen Hand. Wenn sich Einnahmen und Ausgaben derart gegenläufig entwickeln, rutscht der Staatshaushalt im Abschwung ins Minus.
Eine Haushaltssperre, mit der der Finanzminister den Behörden einen sofortigen außerplanmäßigen Ausgabenstopp verordnen kann, und andere radikale Leistungskürzungen oder Gebührenerhöhungen könnten ein solches Haushaltsminus im Abschwung vielleicht verhindern. Ein Finanzminister könnte auch versuchen, die Lücke durch radikale Steuererhöhungen per Eilgesetz zu schließen. Solche Maßnahmen sind indes unpopulär. Und sie sind auch nicht sehr zweckmäßig. Wenn der Staat im Abschwung seine wirtschaftliche Aktivität senkt und im Aufschwung ausweitet, verstärkt er damit die konjunkturellen Schwankungen der Wirtschaftsentwicklung.
Als mahnendes Beispiel der Geschichte für eine solche prozyklische Haushaltspolitik und ihre möglichen Folgen dient oft die Brüning’sche Politik Anfang der dreißiger Jahre. Der damalige Reichskanzler Heinrich Brüning, von Frühjahr 1930 bis Mai 1932 im Amt, schlug mehr oder weniger freiwillig in der bereits laufenden Wirtschaftskrise einen strikten Sparkurs ein. Beispielsweise kürzte er die Beamtengehälter um 25 Prozent. Im weiteren Verlaufseiner Amtszeit kletterte die Arbeitslosigkeit auf schwindelerregende Höhen. Die Einschätzung, dass dieses Sparen in der Krise das wirtschaftliche Elend mit verschuldet hat und der Kanzler damit zu einem unfreiwilligen Wegbereiter der Nationalsozialisten wurde, war und ist weit verbreitet und bildet einen zentralen Ausgangspunkt für die sogenannte Borchardt-Kontroverse unter Wirtschaftshistorikern. 166
Statt solcher radikaler Anpassungen sieht man seither vorübergehende Staatsdefizite in der Krise meist als das kleinere Übel. »Eingebaute Stabilisatoren« werden die Mechanismen genannt, mit denen der Staat im Abschwung ganz automatisch seine Einnahmen senkt und Ausgaben erhöht, ohne dass dazu der Gesetzgeber oder die Regierung unmittelbar etwas unternehmen müsste. Der progressive Einkommensteuertarif beispielsweise sorgt dafür, dass die Steuerzahler bei steigenden Einkommen mit einem höheren Steuersatz belastet werden und umgekehrt. Die Steuerbürger haben im Abschwung mehr Netto vom Brutto und müssen ihren Konsum nicht entsprechend ihres geringeren Brutto-Einkommens kürzen. Automatische Mehrausgaben des Staates im Abschwung ergeben sich aus steigenden Transferzahlungen. So ist der Staat gezwungen, Defizite in den Sozialkassen auszugleichen, etwa höhere Ausgaben für Arbeitslose zu entrichten. Aus ökonomischer Sicht erscheinen solche »automatischen« Schulden gerechtfertigt. Dies gilt umso mehr, als die im Abschwung aufgenommenen Kredite im folgenden Aufschwung eigentlich wieder vollständig zurückgezahlt werden könnten und sollten. Die automatischen Stabilisatoren wirken nämlich auch in umgekehrter Richtung: Eine Konjunkturerholung lässt die Steuerquellen sprudeln und gleichzeitig gehen die notwendigen Transfers an die Sozialkassen zurück.
Eingebaute Stabilisatoren können auf den Konjunkturverlauf glättend wirken und so vielleicht sogar die Lebenszufriedenheit der Bürger erhöhen. Erkenntnisse der Glücksforschung legen nahe, dass das Wohlergehen der Menschen von starken wirtschaftlichen Schwankungen gemindert wird. 167 Die Stabilisatoren können auch für mehr Effizienz des gesamten Wirtschaftssystems sorgen. 168 Einmal angenommen, der Staat müsste zu jedem Zeitpunkt Steuereinnahmen und Staatsausgaben zum Ausgleich bringen.Dann müssten die im Zeitablauf schwankenden Einnahmen und Ausgaben durch einen permanent variierenden Steuersatz ausgeglichen werden. Ein steuerpolitischer Zickzack-Kurs wäre die Folge. Konsumenten und Unternehmen bevorzugen aber einen gewissen Vertrauensschutz und stabile steuerpolitische Rahmenbedingungen für ihre
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