Schuldig wer vergisst
mich zu nerven. Normalerweise hänge ich ihn auf, aber heute dachte ich einfach nicht daran – ich bin schließlich nicht ihre Putzfrau.«
»Dann ist sie verschwunden!«
Jilly zuckte erneut die Achseln. »Sie spielt sich nur auf, sie macht sich interessant. Sie kommt zurück, sobald sie genug hat.«
Angus schlug das Herz bis zum Halse, er schmeckte die Galle in der Kehle, und seine Fantasie beschwor ein schreckliches Bild herauf – Alex mit zerschmetterten Gliedern irgendwo einsam und verlassen auf den Straßen von London.
Er bemühte sich mit aller Macht um einen ruhigen Ton. »Alex ist verschwunden«, sagte er. »Mein kleines Mädchen ist weg. Ich rufe die Polizei.«
FÜNFZEHN
Zeit, heimzugehen. Endlich. Neville gab Sid Cowley ein paar Instruktionen, damit die Ermittlungen im Fall Trevor Norton übers Wochenende normal weiterliefen, und ging in sein Büro zurück, um seine Jacke zu holen. Er überprüfte noch einmal seine E-Mails, bevor er den Computer herunterfuhr: immer noch nichts von Triona. Und auch keine Nachrichten auf seinem Anrufbeantworter und seinem Handy. Vielleicht hatte sie sich ja bei ihm zu Hause gemeldet und dort etwas hinterlassen.
Als er gerade seine Bürotür hinter sich zuzog, kam Detective Superintendent Evans den Flur entlang auf ihn zu. Evans geriet nicht oft auf Abwege, sondern blieb normalerweise in seinem teuren Eckbüro; es musste schon etwas Wichtiges sein.
»Ach, Stewart. Bin ich froh, dass ich Sie erwische«, sagte Evans und musterte ihn mit seinen eng stehenden Augen.
Das klang alles andere als vielversprechend. »Sir?«
»Wie ist der letzte Stand im Fall Norton?«
»Wir … arbeiten noch dran, Sir.« Neville überlegte, ob es irgendetwas Konkretes zu sagen gab, etwas, das Evans davon ablenken würde, dass sie kein bisschen näher an der Lösung des Falls waren als vor einer Woche. »Mrs Norton hat ihr Baby bekommen«, war alles, womit er aufwarten konnte.
»Mädchen oder Junge?«
Neville musste überlegen. »Mädchen, hat DC Fish glaube ich gesagt.«
Evans runzelte die Stirn, und etwas zu spät fiel Neville ein, dass Yolanda Fish seit ihrer Indiskretion gegenüber der Presse – in Gestalt von Lilith Noone – bei Evans schlecht angeschrieben war. Er versuchte, ihr Image ein bisschen aufzupolieren. »DC Fish hat ausgezeichnete Arbeit geleistet, Sir«, sagte er. »Sie war eine große Hilfe.«
»Gut, gut.«
»Also dann, ein angenehmes Wochenende, Sir.« Neville drehte sich um und machte Anstalten zu gehen.
»Einen Moment noch, Stewart. Da ist noch was, worüber ich mit Ihnen sprechen muss. Etwas Wichtiges.«
Neville unterdrückte einen müden Seufzer. »Eigentlich war ich gerade auf dem Weg nach Hause, Sir. Ins Wochenende.«
Doch Evans blieb unerbittlich. »Das kann warten, Stewart. Ich möchte, dass Sie sich um etwas kümmern, das eben reingekommen ist.«
Ich bin groggy, kaputt, völlig alle, hätte Neville ihm am liebsten in die hässliche Visage geschrien. Ich hab gerade eine ganze Woche an einem Mordfall gearbeitet, der im Sande verläuft, und ich will nach Hause. »Sir?«, sagte er.
»Kleines Mädchen wird vermisst. Na ja, so klein denn auch wieder nicht«, korrigierte er sich. »Sie ist zwölf. Fast ein Teenager. Trotzdem, sie wird vermisst. Hat die Wohnung irgendwann am Nachmittag verlassen und ist noch nicht zurück. Ich wollte Sie bitten, zu ihren Eltern zu fahren. In St. John’s Wood.«
Nein, nein, nein, schrie es in Nevilles Kopf. Ich will nach Hause. »Sie wird noch nicht lange vermisst, Sir«, wandte er ein. »Ist wahrscheinlich nur bei einer Freundin. Oder hat sich davongeschlichen, um sich mit einem Freund
zu treffen. Die fangen heutzutage früh an, Sir. Soviel ich weiß.«
Evans schüttelte ungeduldig den Kopf. »Ich möchte, dass Sie sich darum kümmern, Stewart.«
Er wollte aber nicht! Wie weit konnte er bei Evans gehen? »Aber Sir. Ich hab ein freies Wochenende«, wagte er in seiner Verzweiflung zu sagen. »Könnten Sie nicht DS Cowley schicken? Oder jemand anderen? Sie wird höchstwahrscheinlich sowieso in ein, zwei Stunden wieder auf der Matte stehen.«
»Detective Inspector Stewart.« Evans zog verärgert die üppigen Brauen zusammen, die an haarige Raupen erinnerten. »Muss ich mich noch deutlicher ausdrücken? Ich will, dass Sie hingehen. Nicht Cowley und auch sonst niemand.«
»Sir.«
Evans senkte die Stimme. »Ich brauche einen Mann mit ein bisschen Diskretion. Ein bisschen Grips. Nicht so einen Lümmel, der da reinmarschiert
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