Schuldig wer vergisst
ließ keinen Ton aus. Er musste so von seiner eigenen Stimme verzückt sein, dass er Callie nicht einmal hörte. »Oh no, not in springtime, summer, winter or fall …«
Wenn er im Frühjahr immer noch hier wäre, würde sie sich die Pulsadern aufschneiden. Callie strich die Segel, hastete ins Schlafzimmer zurück, zog sich ihre Priestertracht sowie die Soutane über, bürstete sich kurz durchs Haar und legte ein wenig Lipgloss auf. Sie würde eben duschen müssen, wenn sie zurückkam.
Als sie zur Tür rannte, erschien Peter in seinem Frotteebademantel in der Badezimmertür und sah mit seiner rosig frischen, sauberen Haut und dem zerzausten nassen Haar wie ein junger Engel aus. »Oh, hi, schon unterwegs?«
»Wie immer, zur Morgenandacht«, erwiderte sie gereizt über die Schulter, bevor sie die Treppe hinunterstürmte. Sie wusste, dass dies die falsche Stimmung für einen Akt der Anbetung war, doch an diesem Punkt war ohnehin schon alles egal.
Als sie etwa eine halbe Stunde später wieder nach Hause kam, wartete Peter bereits mit einem frisch aufgebrühten Kaffee auf sie. »Tut mir leid, das mit der Dusche«, sagte er zerknirscht, »hab wohl einfach nicht nachgedacht. Ich
dachte, es sei besonders rechtschaffen, mal früher aufzustehen. Stattdessen hab ich dir den Tag versaut.«
Er sah sie so voller Gram und Reue an, dass sie beinahe losgeprustet hätte; man konnte Peter einfach nicht lange böse sein. Sosehr er einem auf die Nerven ging, so unwiderstehlich war sein Charme, und zwar von Natur aus: Er kannte keine Berechnung oder Arglist. Er konnte gedankenlos sein, zweifellos, doch auch unglaublich einfühlsam.
»Macht nichts«, sagte sie. »Es waren nur drei Leute bei der Morgenandacht, und niemand hat sich über meine mangelnde Körperpflege beklagt.«
Peter lachte. »Na, dann trink erst mal den Kaffee, danach kannst du immer noch duschen. Ich hab Bella schon kurz Gassi geführt, die Sorge bist du also los. Du hast die Wohnung ganz für dich – ich bin in einer Minute weg.«
Für eine wilde Freudensekunde glaubte sie, er würde endgültig ausziehen. »Wo willst du hin?«
»Du hast mich gestern mit deinen Weihnachtseinkäufen beschämt. Also hab ich gedacht, ich fahre zum Sloane Square und erledige meine auch.«
»Sloane Square? Nicht Oxford Street?«
Er zuckte die Achseln. »Oxford Street ist mir zu hektisch. Und die Geschäfte sind am Sloane Square besser. Außerdem«, fügte er hinzu, »werde ich mal bei Mum vorbeischauen. Ich werde ein braver Sohn sein. Das verschafft dir vielleicht ein bisschen Luft.«
»Gott segne dich.« Sie war wirklich dankbar: Als sie gestern in ihren Terminkalender geschaut hatte, war ihr tatsächlich die Frage durch den Kopf gegangen, wie sie vor Weihnachten noch einen Besuch bei ihrer Mutter einschieben sollte.
»Ab und zu kann ich ganz nützlich sein«, sagte Peter grinsend, »auch wenn ich meinen Mitmenschen die meiste Zeit auf den Keks gehe.«
Sie konnte beides nur bestätigen. Callie ließ sich auf das Sofa plumpsen, das – Wunder, o Wunder – bereits zusammengeschoben war, und trank gierig einen Schluck Kaffee.
»Was hast du denn für den Rest des Tages vor?«, fragte Peter, während er sich einen Kaschmirschal um den Hals wickelte.
»Och.« Sie verzog das Gesicht. »Heute Vormittag bastle ich mit der Mothers’ Union Christingles. Ich kann’s kaum erwarten.«
Peter hielt mit seiner Tätigkeit inne. »Was zum Teufel sind Christingles? Warte mal, sag’s nicht. Ich stelle mir was richtig Exotisches und Abartiges vor.« Er zwinkerte ihr zu.
Callie lachte. »Ach, wenn’s doch nur so wäre: Es könnte mich fast in Versuchung führen, dich zu Mum zu begleiten.«
»Also, das klingt wirklich besorgniserregend.«
»Es wäre gar nicht so schlimm, wenn Jane nicht wäre«, gab sie zu. »Die meisten Leute in der MU sind eigentlich sehr nett. Aber Jane ist so herrschsüchtig, so besitzergreifend, als gehörte die Mothers’ Union ihr. Sie schafft es jedes Mal, mich irgendwie ins Unrecht zu setzen. Und offenbar genießt sie es, mich bloßzustellen. Ich weiß auch nicht, weshalb sie es so auf mich abgesehen hat.«
»Oh, Schwesterchen.« Peter zog den Reißverschluss seiner Jacke hoch. »Du hast immer noch eine Menge zu lernen, oder?« Plötzlich klang er so klug und weise wie ein älterer Bruder, und nicht wie der jüngere. »Siehst du Marco heute Abend?«, fügte er hinzu, als er schon halb auf der Treppe war.
»Ich weiß nicht«, sagte sie.
Sie wusste es wirklich
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