Schuldig wer vergisst
die Wohnungstür aufschloss.
»Oh, Schwesterherz! Hab gar nicht mit dir gerechnet«, sagte er. »Ich dachte, du wärst noch in der Stadt. Steht dir übrigens reizend«, bemerkte er grinsend beim Anblick ihres fadenscheinigen Morgenmantels über ihrer Samtbluse.
»Danke. Zufällig hab ich heute für Mum einen Morgenmantel zu Weihnachten gekauft. Ich hoffe, sie findet ihn grässlich, dann kann ich ihn selbst behalten.«
»Schätze mal, deine Chancen stehen gut.« Er ließ seine Lederjacke auf den Sessel fallen. »Wann hat sie jemals etwas gut gefunden, das du ihr geschenkt hast?«
»Ungefähr so oft, wie sie deine Geschenke zu schätzen wusste«, entgegnete Callie.
»Das ist unsere Mum. Wenigstens hat sie keinen Liebling.«
Callie verzog das Gesicht. »Das sollte mich wohl trösten.«
»Überhaupt, wieso bist du schon zurück?« Peter wartete nicht auf die Antwort, sondern feuerte gleich eine Salve weiterer Fragen ab: »Wie ist es gelaufen? Wie war das Restaurant? Und wie fandest du Marcos Familie? Bereit, dich mit offenen Armen aufzunehmen?«
»Frag nicht«, sagte Callie in entschiedenem Ton. »Wirklich, ich meine es ernst. Frag nicht.«
SIEBZEHN
Kurz nach Mitternacht kam Bewegung in die Angelegenheit, als Angus Hamilton den Vizepräsidenten der Londoner Polizei aus dem Schlaf des Gerechten zerrte, der seinerseits die Festlichkeiten der Familie Evans störte, woraufhin Evans wiederum unverzüglich bei Neville Stewart anrief.
Zufällig war Neville nicht halb so betrunken wie geplant. Aus irgendeinem Grund hatte ihn bereits das erste Guinness in einen traumlosen, tiefen Schlaf hinüberbefördert, und zwar bereits auf dem Sofa. Nur das hartnäckige Klingeln des Handys in seiner Hosentasche drang in diesen Schlummer. Und als er zu sich kam, war er beinahe nüchtern.
»O Gott«, stöhnte er, während er nach dem Telefon tastete. Er hatte keine Ahnung, wie spät es war oder wie lange er geschlafen hatte.
»Mir ist völlig egal, was Sie gerade machen und mit wem«, sagte Evans in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Ich gebe Ihnen zwanzig Minuten, um wieder zu dieser Wohnung zu fahren, allerhöchstens eine halbe Stunde. Nehmen Sie Cowley mit, wenn es sein muss. Aber halten Sie ihn an der kurzen Leine.«
»Ja, Sir.«
»Sorgen Sie dafür, dass niemand Angus Hamilton provoziert. Ihm irgendwie auf die Zehen tritt.«
Neville fragte sich, ob Evans schon etwas über die Reize von Mrs Hamilton zu Ohren gekommen war – Reize, die auf den heißblütigen Sid Cowley ihre Wirkung sicher nicht verfehlen würden – oder ob es nur eine allgemeine Warnung war. Sid war nicht gerade ein Ausbund an Feinfühligkeit oder untadeligen Manieren. »Ja, Sir«, wiederholte er.
Cowley hatte überhaupt nicht getrunken; im Unterschied zu Neville hatte er auch am Samstag nicht frei. Also holte er Neville mit dem Auto ab, und sie machten sich auf den Weg nach St. John’s Wood.
Unterwegs informierte Neville ihn über die Situation – und darüber, wieso sie mitten in der Nacht aus dem Bett geholt worden waren. »Die Leute musst du mit Samthandschuhen anfassen«, warnte er Cowley. »Evans hat sich sehr klar ausgedrückt. Dieser Hamilton kennt den Vize höchstpersönlich, ergo müssen wir uns von unserer besten Seite zeigen.«
»Chef.« Für einen kurzen Moment wandte sich Cowley von der vereisten Straße ab und warf einen vorwurfsvollen Seitenblick zu Neville. »Wann zeige ich mich jemals nicht von meiner besten Seite?«
Neville schnaubte. »Bitte, Sid. Jetzt machen Sie mal’nen Punkt.«
»Vielleicht meinte er ja Sie, Chef«, konterte Cowley selbstgefällig.
Neville ignorierte die Bemerkung und fuhr fort: »Das Wichtigste, was ich Ihnen sagen wollte, ist, dass Sie sich bitte nicht an Mrs Hamilton aufgeilen. Das wäre so ziemlich das Schlimmste, was Sie tun könnten.«
Cowley sah ihn interessiert an. »Leicht, sich an ihr aufzugeilen, Chef?«
»Bei Gott, ja. So Pi mal Daumen zehn Jahre jünger als er. Blond. Wahnsinnsfigur.« Er überlegte, wie er sie sonst noch beschreiben könnte, und dachte an dieses reizende Achselzucken, das sie so gekonnt beherrschte. Die Sache mit Mrs
Hamilton war nur, dass sie nicht einfach irgendeine billige, kokette, kurvenreiche Blondine war. Sie war reich. Schick. Sie hatte Klasse – St. John’s Wood, durch und durch, mit dem Silberlöffel im Mund geboren. Er konnte es nicht in Worte fassen, die Cowley verstehen würde, und so sagte er einfach nur: »Aber nichts für das einfache Fußvolk wie
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