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Schuldig wer vergisst

Titel: Schuldig wer vergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Charles Anke und Dr Eberhard Kreutzer
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das Gefühl, alt zu sein.
    Sie behandelte sie wie jemanden, mit dem man Nachsicht üben musste. Jemanden, der schon alles hinter sich hatte – eine Generation, die nicht mehr zählte, sondern längst zum alten Eisen gehörte. Der man zwar mit Respekt, aber mit wenig Interesse begegnete.
    Genauso, wie sie sich gegenüber ihren Großtanten gefühlt hatte, erkannte Jane mit Schrecken. Deren Welt war von ihrer so weit entfernt gewesen, dass sie ihnen außer diesen Artigkeiten nichts zu sagen hatte. Es gab einfach zu wenig Berührungspunkte. Sie hatten schon im Krieg gelebt, mal ehrlich – wie langweilig war das denn?
    Hielt Ellie sie für langweilig, weil sie in den Sechzigerjahren Kind, in den Siebzigern Teenager und in den Achtzigern eine junge Ehefrau gewesen war?
    Aber ich bin nicht alt, dachte Jane betrübt. Für sie war noch nicht alles vorbei. Frauen zwischen vierzig und fünfzig waren heutzutage in ihren besten Jahren. Man musste sich doch nur mal all die Filmstars ab vierzig aufwärts ansehen: Meg Ryan, Demi Moore, sogar Julia Roberts. Ganz zu schweigen von Madonna!
    Mit perfektem Timing, das aus langer Praxis herrührte, schaltete sie den Wasserkocher genau in dem Moment an, als Brian von der Morgenandacht zur Haustür hereinkam. Er hatte sein Frühstück gern, sobald er nach Hause kam, und wenn er die Soutane abgelegt hatte und in die Küche kam, konnte sie den Tee eingießen.
    Er kam ein paar Minuten später herein und hielt einen Brief in der Hand.
    »Oh, die Post ist offenbar früher da als sonst«, bemerkte Jane, während sie Milch in ihre Tassen schüttete.
    »Janey …«, sagte Brian in seltsamem Ton.
    Sie hob den Kopf und sah ihn direkt an: Seine Augen waren weit aufgerissen, als hätte er einen Schock erlitten, und
er reichte ihr den Brief mit sichtlich zitternder Hand. »Ist irgendwas passiert? Komm schon, sag’s mir!«
    Er sprach ruckartig, abgehackt. »Nein. Nichts passiert, das heißt doch, schon.«
    Jane verstand gar nichts mehr und war besorgt. Sie griff nach dem Brief, aber er hielt ihn fest. »Sag schon«, drängte sie.
    Brian brauchte einen Moment, bevor er antwortete. Er schien sich zusammenzureißen, leckte sich die Lippen und räusperte sich. »Erinnerst du dich an meinen Onkel Bernard?«
    »Ja.« Jane versuchte, sich das wenige, was sie über diesen Onkel wusste, den sie nie gesehen hatte, in Erinnerung zu rufen. Der Bruder von Brians verstorbenem Vater war ausgewandert, als Brian noch ein Kind war, und besaß in Australien eine Art Farm oder Ranch. Er hatte nie geheiratet und war auch nie nach England zurückgekommen, noch nicht einmal auf Besuch. Er schrieb ihnen aber jedes Weihnachten, also war das vielleicht die alljährliche Grußkarte.
    »Er ist tot«, sagte Brian tonlos. »Er ist vor einem Monat gestorben.«
    »Oh! Das tut mir leid.«
    Brian wedelte mit dem Brief und verzog das Gesicht zu einem merkwürdigen Lächeln. »Er hat uns einiges Geld hinterlassen, Janey! Genauer gesagt, eine Menge Geld.«
    Sie schnappte ihm den Brief aus der Hand und überflog ihn.
    Es handelte sich um das Schreiben eines Anwalts in typischem Juristen-Englisch, doch das Wesentliche war klar. In seinem Testament hatte Bernard Stanford seinem Neffen hundertfünfzigtausend australische Dollar hinterlassen, das waren, nach Schätzung des Anwalts, mehr als sechzigtausend Pfund Sterling. Ein Scheck würde bald folgen.

    Sechzigtausend Pfund! Jane bemerkte nach einer Weile, dass sie zu atmen aufgehört hatte. Sie holte tief Luft, dann noch einmal. Ihr zog sich vor Freude und Aufregung der Magen zusammen.
    Mit dem bescheidenen Salär eines Pfarrers eine Familie zu versorgen, war all die Jahre hindurch Janes schwierige Aufgabe gewesen. Sie war stolz darauf, dass sie als Hausfrau Brian auf jede erdenkliche Weise in seinem Amt unterstützt und zwei kluge Jungen großgezogen hatte, auf die jede Mutter stolz gewesen wäre. Die Tatsache, dass sie Zwillinge waren, bedeutete, dass sie alles doppelt rechnen musste, was stets die Haushaltskasse strapaziert und Jane vor so manche Herausforderung gestellt hatte. Wenn Opfer nötig wurden, dann war meist sie es, die sie brachte: Sie sorgte dafür, dass die Jungen wie auch Brian niemals Mangel litten. Wenn sie eine Ewigkeit in ihrem Laura-Ashley-Kleid herumlief, wenn sie sich auf Wohltätigkeitsbasaren die abgelegten Kleider anderer Leute kaufte, dann war das nur ein geringer Preis, den sie gerne für das Wohlergehen der Familie zahlte.
    Und jetzt auf einmal: Geld! Und zwar

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