Schuldig wer vergisst
»Was für eine Rabenschwester würde wohl ihren eigenen Bruder auf die Straße setzen?«
Peter erdrückte sie fast in seiner Umarmung. »Danke, Schwester, du wirst es nicht bereuen.«
Die Hoffnung stirbt zuletzt, dachte Callie.
Neville verabredete sich mit Willow Tree in einem Pub in der Nähe des Polizeireviers – nicht in seinem und Marks Stammlokal, sondern in einer etwas schickeren Kneipe mit einer anständigen Speisekarte. Er wollte ihr ein gutes Essen spendieren und dann sehen, wie der Abend sich so entwickelte.
Neville kam mit etwas Verspätung aus dem Büro – der Coroner hatte angerufen, um einen Termin für die gerichtliche Untersuchung anzuberaumen -, und so lief er im Eilschritt zum Pub. Sie wartete nicht draußen auf ihn, aber eigentlich hatte er bei diesen Temperaturen auch nicht damit gerechnet.
Sie lehnte, ein Guinness in der Hand, an der Bar. »Hi, Inspector Stewart«, sagte sie und hob zum Gruß das Glas.
»Nennen Sie mich Neville.« Er grinste anerkennend. Guinness! Eine Frau, so recht nach seinem Geschmack. Und sie sah ein wenig konservativer aus als bei ihrer letzten Begegnung; ihr orangefarbenes Haar war nicht mehr zu Stacheln gestylt, ihre Fingernägel leuchteten dunkelrot statt grün, und in der Nase steckte ein dezenter kleiner Stein statt des goldenen Rings. Sie war ziemlich attraktiv. Unter ihrem Schaffellmantel erhaschte er einen Blick auf eine hauchzarte Bluse mit Folkloredruck und einem verführerisch tiefen Ausschnitt.
Er bestellte sich ebenfalls ein Guinness; während es gezapft wurde, drehte er sich zu ihr um. »Danke, dass Sie gekommen sind. Ich hoffe, Sie haben es gleich gefunden?«
»Kein Problem. Ich war schon mal hier. Ich arbeite ein paar Straßen weiter, im Bioladen. Planet Earth. Kennen Sie den?«
»Nein, ich steh nicht so auf Bio«, räumte Neville ein und verzog das Gesicht.
Sie lächelte. »Hatte ich mir irgendwie schon gedacht.«
»Und Sie sind trotzdem gekommen. Das ist ein gutes Zeichen.«
»Ich war … neugierig«, gestand Willow, »weshalb Sie mich angerufen haben.«
Es war keine direkte Frage, und Neville beantwortete sie auch nicht. Er nahm sein Guinness vom Barkeeper entgegen, hielt es hoch, um es fachmännisch zu prüfen, und stieß dann
mit ihr an. »Auf Neuanfänge«, sagte er und nahm einen großen Schluck.
»Demnach sind Sie außer Dienst«, bemerkte sie.
»Heute Abend ja.«
»Dann ist das hier nicht … dienstlich?«
»Du lieber Himmel, nein!« Hatte sie das etwa gedacht? Dass er sie hierher bitten und zu einem Fall befragen würde, der seit Monaten abgeschlossen war? »Ich dachte, ich hätte klar gesagt, dass das hier vollkommen … inoffiziell ist.«
»Wollte nur sichergehen.« Sie nippte an ihrem Drink und leckte sich den Schaum von der Oberlippe – eine unbewusste Geste, die Neville äußerst sexy fand. »Ich wusste nicht, wie lange dieser Drink reichen sollte.«
»So lange, wie Sie wollen. Der Zapfhahn da gibt jede Menge her.« Neville sah auf die Tafel hinter dem Tresen, auf der in Kreide die Speisekarte stand. »Möchten Sie was zu essen bestellen?«, fragte er. »Die machen hier köstliche Burger.« Kaum hatte er es ausgesprochen, fiel ihm wieder ein, dass sie in einem Bioladen arbeitete, und er versuchte, seinen Fehler auszubügeln. »Ich bin sicher, sie bieten auch was Vegetarisches an«, fügte er hinzu. »Tofu oder so was in der Art.« Viel weiter reichten seine Kenntnisse über vegetarisches Essen nicht; er hoffte, dass es nicht allzu ignorant klang.
Willow lachte. »Ich bin keine Vegetarierin, Neville.«
»Ich dachte nur …«
»Sie haben gedacht, dass jemand, der in einem Bioladen arbeitet, Vegetarier sein muss. Falsch. Macht es mich zu einem Hund, wenn ich in einer Tierarztpraxis arbeite?« Sie nahm einen großen Schluck aus ihrem Glas und sah ihn aufmerksam an. »Zufällig liebe ich einen guten Burger. Oder ein saftiges Steak«, fügte sie hinzu.
Dieser Abend wurde immer vielversprechender. »Dann nehmen wir doch Steak«, sagte Neville. »Steak mit Pommes.«
»Klingt gut. Meins bitte nicht durch.«
Er bestellte beim Barkeeper und führte sie an einen freien Tisch. »Sie sind eine erstaunliche Frau, Willow Tree«, sagte er und hob das Glas in ihre Richtung.
»Das freut mich. Ich bin immer gerne für eine Überraschung gut.«
Es gab noch eine Sache – na schön, vielleicht zwei -, die den Abend für ihn abrunden würden. »Sie mögen nicht zufällig irische Musik?«
»Ich liebe irische Musik«, sagte sie wie
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