Schuldig wer vergisst
Vorsprung zu verschaffen, indem er mit der Presse sprach, sodass sie Rachel unbemerkt wegbringen konnten.
»Also«, sagte er bedächtig. »Wir haben natürlich die Bevölkerung gebeten, uns bei der Identifizierung des Mannes auf dem Foto zu unterstützen. Und wir planen, am Freitag, also genau eine Woche nach dem Mord, den Tathergang zu rekonstruieren.«
Das Ablenkungsmanöver funktionierte; die Journalisten stellten ihm noch ein paar Fragen, er dehnte seine Antworten so lang wie möglich aus, und als er schließlich, dicht gefolgt von der Presse, das Gebäude verließ, waren Yolanda und Rachel längst über alle Berge.
Cowley dagegen wartete draußen mit der unvermeidlichen Zigarette auf ihn. »Sie haben ein Taxi genommen«, sagte er. »Rachel war ziemlich mitgenommen.«
»Wundert mich nicht.«
»Ich hatte Angst, sie kommt jeden Moment nieder.« Cowley schüttelte den Kopf. »Gott, sie ist verdammt rund. Als meine Schwester ihr Baby bekam …«
Nicht das schon wieder. Neville fiel ihm ins Wort. »Ja, Sid, die Geschichte von Ihrer Schwester und dem Baby kenne ich in- und auswendig«, rief er ihm in Erinnerung.
»Schon gut, schon gut.«
Besser, er lenkte Cowleys Aufmerksamkeit entschieden in eine andere Richtung. »Gibt es noch irgendetwas über den Fall, das ich wissen sollte?«
Cowley betrachtete eingehend die glühende Spitze seiner Zigarette, bevor er antwortete. »Die Computer-Experten sind mit Trevors Rechner fertig. Danny Duffy hat gestern Nachmittag vorbeigeschaut. Nachdem Sie Feierabend gemacht hatten.«
War das schon wieder als verkappte Kritik gemeint, als Rache dafür, dass er sich nicht zum x-ten Mal über Schwangerschaft und Wehen seiner Schwester auslassen durfte? Neville beschloss, es auf sich beruhen zu lassen. »Und was hat er gesagt?«
»Er hat gesagt, sie hätten nichts gefunden. Nur Berufliches, so wie Rachel behauptet hatte. Konten, Geschäftsvorschläge, Projektmanagement, E-Mails an Kunden. Sonst nix. Keine Freundin nebenher oder so. Jedenfalls keine Mails in der Art.«
»Aber«, sagte Neville, »die Version ist jetzt, wo wir das Filmmaterial haben, sowieso nicht mehr ganz aktuell. Sie hatten wohl recht mit Ihrer Vermutung, dass es ein Zufallsverbrechen ist. Wegen des iPod.«
»Ja, Chef. Sieht ganz danach aus, als hätte ich recht gehabt.« Cowley nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und lächelte selbstzufrieden.
»Aber dieses Grinsen können Sie sich ruhig abschminken, Sid. Bis wir das Kapuzen-Kid gefunden haben. Möglichst mit dem iPod im Händchen.«
Allerdings waren sie diesem Ziel, gestand Neville sich ein, bis jetzt kein bisschen näher gekommen als zu Beginn ihrer Ermittlungsarbeit.
Mark hatte seinen Abend mit Callie in vollen Zügen genossen. Er hatte sie in ein nettes italienisches Restaurant in der Nähe des Picadilly Circus eingeladen, wo es vorzügliches Essen gab.
Wenn auch nicht ganz so gut wie im La Venezia, dachte er wehmütig. Callie würde Mamas Ravioli lieben.
Es war einfach zu dumm, dass er sie nicht dorthin einladen konnte. Und es wurde höchste Zeit, dass er daran etwas änderte.
Wild entschlossen, mit seiner Schwester zu reden, machte er ein wenig früher Feierabend und nahm einen Umweg, der ihn bei ihr zu Hause vorbeiführte. Um diese Zeit – zwischen dem Ende des Mittagessens und dem Erscheinen der ersten Abendgäste im Restaurant – war Serena fast immer daheim. Mark wusste, dass sie gerne da war, wenn Chiara aus der Schule kam. Immerhin war die Kleine erst zwölf, und obwohl sie recht gut für sich sorgen konnte, war sie doch zu jung, um den ganzen Tag allein gelassen zu werden.
Chiara öffnete ihm die Tür. »Onkel Marco!«, kreischte sie und warf sich ihm so heftig an die Brust, dass ihm die Luft wegblieb und er beinahe das Gleichgewicht verlor.
»Hey, hey.« Er umarmte die kompakte kleine Gestalt. Sie war in letzter Zeit ein ganzes Stück gewachsen, doch für ihn war sie immer noch ein Kind.
Irgendwann ließ sie ihn los und trat zur Seite, um ihn hereinzulassen. »Rechnet Mum mit dir?«, fragte sie. »Weil sie ist nämlich nicht da.«
»Nicht?« Marco ging unwillkürlich in die Küche, als müsste Chiara sich irren und Serena dort bei einer Kanne Kaffee sitzen.
»Nein. Als ich von der Schule kam, war sie nicht da.« Es klang ein Hauch Sorge durch.
»Hat sie eine Nachricht hinterlassen?«
»O ja.« Chiara nahm sie vom Küchentisch und reichte sie ihm. »Da steht nur, dass sie wegmusste. Und dass sie mir zum Tee Sandwiches
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