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Schule der Armen

Schule der Armen

Titel: Schule der Armen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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einer fixen Idee getrieben, mit besessener Wut auf die Arbeit und kam dabei zur sonderbaren Entdeckung, daß in der Praxis beinahe alles andere sicherer zum Gelderwerb führt als die um ihrer selbst willen geleistete Arbeit. Ich lernte weiter, daß man sich mit Arbeit den Lebensunterhalt verdienen und mit viel Fleiß, Begabung, Gesundheit und Arbeitskraft vielleicht auch noch etwas Geld beiseite legen kann, damit man auf seine alten Tage nicht verhungert. Dagegen wurde mir klar, daß man allein mit der Arbeit, der uneigennützigen, schweißtriefenden Arbeit, nie so viel Geld zu verdienen vermag, daß dieses ersparte Kapital quasi selbständig weiterarbeitet. Dabei ist dies die Vorbedingung, um zu einem Vermögen zu kommen. Ich brauchte Zeit, um es einzusehen.
    Inzwischen wurde ich in der Armut fett, begann in der Armut kahl zu werden, gründete eine Familie, schrieb und las Bücher, um der Armut zu entgehen, und blieb unverändert arm.
    Mit dreißig Jahren fühlte ich mich auf einmal reif zum großen Werk der Umdichtung. Erkenntnisse dieser Art kommen meist ganz plötzlich, ohne unser Zutun, wie im allgemeinen große Entdeckungen. Schon damals wußte ich genau, daß ich mein Leben lang arm bleiben würde. Ich betete viel in der mir eigenen Art, arbeitete viel, langweilte mich noch mehr und vertrieb mir meine Zeit mit allerlei oberflächlichen und billigen Zerstreuungen. Ich war mit einem Wort arm. Eine Zeitlang stellte ich auch Versuche mit der exotischen Umdichtung an, indem ich mich in einen französischen Poeten umdichtete. Ich reiste nach Frankreich, rauchte dort schlechte Zigaretten, wohnte in teuren und muffigen Hotelzimmern, saß lange Nachmittage auf einer Bank im Jardin du Luxembourg oder vor der Bartheke einer Kneipe, deren Boden mit Sägemehl bestreut war, vertilgte große Mengen konzentrierten Alkohols und dachte dabei in französischer Sprache über das Leben nach.
    Wie jeder erkünstelte Zustand war mir auch dieser bald über. So arm wie in jener Zeit in Frankreich habe ich mich weder früher noch später je gefühlt. Ich fühlte mich geradezu verlaust und verkrüppelt, die Armut beeinflußte so sehr meinen Gemütszustand, daß ich reif gewesen wäre für den Hof der Bettler im XV. Jahrhundert, reif für die Gesellschaft eines Villon. Den Luxus, den ich später nie entbehrte und dessen Mangel mich auch nie schmerzlich berührte, begehrte ich in Paris, sozusagen wie einen mir abhanden gekommenen Körperteil; ein Luxusauto, eine Luxusbuchausgabe, ein Luxuskinderwagen im Bois entlockten mir Klageworte, die ich zeitweise auch zu Papier brachte, mit der unklaren Absicht, als Andenken an mein Elend ein Grand und ein Petit Testament zurückzulassen. So jammerte ich. Ich hatte allen Grund, mich als ausgestoßen aus der menschlichen Gesellschaft zu fühlen, denn ich war jung, talentiert, damals sogar auch ein Dichter, kurzum, ich war in Paris – aber ohne Geld.
    Nachdem mir die exotische Umdichtung nicht gelungen war, versuchte ich es mit der »bukolischen« oder »stoischen Umdichtung«, zog mich aufs Land zurück, hörte dem Gebrüll der lieben Kühe zu, roch Blumen und Thymian, wanderte in der Dämmerung umher mit einem Band Horaz in der Hand, den ich nicht las, und murmelte nur kummervoll »beatus ille« usw. vor mich hin. In Wahrheit fühlte ich mich gar nicht beatus ; die bukolische Umdichtung langweilte mich. In Paris litt ich, auf dem Land langweilte ich mich. Dank meiner philosophischen Bildung war ich mir über die geistesgeschichtlichen Zusammenhänge im klaren und wußte, daß der Stoizismus notwendigerweise die modifizierte Fortsetzung der Schule der Zyniker ist, eine zahme Ausgabe der Lehren des Gymnasiums von Kynosarges; so kam ich durch systematische Untersuchungen zu der Entdeckung, daß die stoische Umdichtung meiner geistigen Einstellung nicht entsprach und daß ich mein Glück mit der Methode der Zyniker, vornehmlich nach den weisen Lehren des Antisthenes, versuchen und trachten müsse, die Lebensweise aller jener vornehmen Zyniker nachzuahmen, die, wie schon die Benennung sagt, wie die Hunde lebten.
    Dies konnte ich um so leichter tun, als ich nach meiner Rückkehr aus Paris tatsächlich so lebte wie ein Hund; ich bummelte tagsüber in den Straßen herum, und sowohl mein gesellschaftliches wie auch mein Liebesleben übertraf in keiner Weise das Niveau eines herrenlosen Straßenköters. Beim Studium der Zyniker lernte ich, daß die Tugend das höchste Gut sei; diese Erkenntnis tröstete mich

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