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Schule der Armen

Schule der Armen

Titel: Schule der Armen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Prozeß und schafft sich zweckmäßigerweise eine Umdichtung, die der Wirklichkeit in jeder Hinsicht, mit allen ihren Situationen und Umständen, entspricht; er erfüllt und veredelt das Alltägliche und das Öde, ja selbst das Unerträgliche – so zum Beispiel das Abhängigkeitsgefühl vom Arbeitgeber, die Arbeitslosigkeit, den von der Stange gekauften Anzug, die Liebe ohne Geld und die politischen Leidenschaften – mit der Atmosphäre der Umdichtung.
    Es handelt sich hier um einen mit einem Kunstwerk vergleichbaren komplizierten und hochwertigen geistigen Prozeß. Der Künstler arbeitet mit der gleichen Anspannung seiner Nerven, seiner Sinne und seiner intellektuellen Fähigkeiten wie der Arme, wenn er aus seinem Leben ein Meisterwerk schaffen will. Der Künstler bearbeitet das Rohmaterial, die Leinwand, die Farben, den Ton oder die Worte mit der gleichen Kraft, mit der der Arme aus dem klotzigen widerstrebenden Rohmaterial des Lebens das Individuelle, das Erhabene durch die Umdichtung herausmeißelt. Die Elemente, aus denen er sein Werk zusammensetzt, sind erbärmlich billig und grob. In Anbetracht der Schwerfälligkeit der Materie hätte er allen Grund zu verzweifeln, denn seine Lebensverhältnisse, wie die eines jeden kompromißlosen Künstlers, sind trostlos, und er kann kaum hoffen, daß sein unter schmerzhaften Wehen und strenger Selbstverleugnung vollbrachtes Werk je mit der Anerkennung seines Zeitalters gekrönt wird.
    Und dennoch schafft er weiter, ohne jede Hoffnung auf Erfolg; wenn die Umdichtung gelingt, bleibt er, vielleicht noch in gesteigertem Maße, arm, genau wie sein Hausmeister, der nie etwas gegen die Armut unternommen hat, sondern sie einfach erduldete. Wie jedes Kunstwerk, so hat auch die umgedichtete Armut ein moralisches Ziel. Es genügt nicht, aus dem Leben der Armen ein ästhetisches Kunstwerk zu schnitzen, es soll mit Hilfe der Umdichtung auch einen moralischen Inhalt erhalten. Wenn wir uns zwischen nahen Bekannten, Verwandten und Freunden umsehen, stellen wir überrascht fest, wie wenigen Armen es gelungen ist, die wahre Umdichtung höchsten Grades durch bewußt geführte Experimente zu verwirklichen.
    Der Verfasser dieser Zeilen kann ohne falsch angebrachte Bescheidenheit mit innerer Zufriedenheit feststellen, daß sein kompliziertes und mühseliges Lebenswerk von Erfolg gekrönt wurde: Ihm ist die Umdichtung gelungen. In den einführenden Zeilen dieses Kapitels erwähnte ich schon, welche Verzweiflung mich befiel, als ich erfuhr, daß ich als Armer geboren wurde. Ich empfand diesen Zustand geradezu als ein körperliches Leiden und scheute weder künstliche noch gewaltsame Heilmethoden, um die Qualen des Zustands der Armut zu lindern. Die schmerzliche Enttäuschung, die mich in meiner Jugend begleitete, verließ mich auch im Mannesalter nicht und beeinträchtigte es sehr. Ich schüttelte mich geradezu, wenn mir meine Armut einfiel, fuhr in der Nacht unter dem Alpdruck der Armut aus dem Schlaf auf und blickte meinen Körper wie etwas Fremdes an, wie Hiob es wohl auf dem Misthaufen getan hat.
    Ich konnte mir nicht vorstellen, wo und wann ich Gott beleidigt hätte, warum er mich zum Armen schuf und weshalb er mich mit einer Strafe belegte. In meiner ersten Jugend zum Beispiel richtete ich an Gott von tiefer Religiosität durchdrungene erbarmungheischende Gedichte, gereimte wie auch Prosagedichte, in denen ich in heißer Inbrunst um seine Vergebung flehte. In zehn Seiten langen Gedichten bat ich Gott, denn an keinen anderen konnte ich mich wenden, rief ihn gleich den Scholastikern mit symbolischen Namen wie Rad und Zeichen an und bettelte untertänigst und flehentlich, mir ein wenig Geld zukommen zu lassen. Nie mehr in meinem ganzen Leben, selbst in viel geeigneteren Situationen und unter viel günstigeren Aussichten, habe ich mit so heißer Begierde und unter Aufbieten meiner ganzen Kunst um Geld gebetet wie in meinen sensiblen und verzweifelten Jugendjahren.
    Damals wußte ich noch nicht, daß Geld am Zustand der Armut nichts zu ändern, höchstens nur zu lindern vermag. In meiner Unwissenheit und da meine Bitte auf taube Ohren stieß, griff ich nach gewaltsamen und albernen Mitteln; zum Beispiel spielte ich eine Zeitlang Hasard, bestimmt nicht die sicherste Methode des Gelderwerbs, aber unbedingt aufrichtiger und moralischer als die Mehrzahl der Mittel und Wege, durch die ich später und im allgemeinen in meinem Leben in der großen Welt Geld verdiente. Dann warf ich mich, wie von

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