Schule der Armen
schwarzen Kaffee nicht bezahlen könne; wenn er aber daran denke, daß ein einziges Kilo Henna aus der mütterlichen Erbschaft ihm auf mehrere Monate die Mittel verschaffen würde zu einem sorglosen, bequemen Leben, wie er es zu Hause gekannt und wie es ihm auch heute noch zuteil werden könne, dann vermöge er über diese nebensächlichen und kleinlichen Äußerlichkeiten seiner jetzigen Existenz nur zu lächeln.
So lebt er unter uns, zufrieden und glücklich, beobachtet unsere Einrichtungen und Gebräuche, etwas fremd, aber mit viel Sympathie, und nur selten, ganz selten, während der großen religiösen Festtage des Ostens, fühlt er ein leichtes kleines Heimweh nach Persien.
Ich skizziere dieses Beispiel in aller Ausführlichkeit, denn H.B.s Methode ist ein charakteristischer Fall der sogenannten »exotischen Umdichtung«, eine der beliebtesten Spielarten der Umdichtung, die sich besonders unter den älteren Armen einer großen Verbreitung erfreut. Diese Spielart der Umdichtung ist zweifellos bequem, obwohl in mancher Beziehung auch primitiv. Langdauernde Vorstudien, hemmungslose Phantasie und nicht zuletzt ein achtunggebietendes schauspielerisches Talent gehören dazu, damit die exotische Umdichtung in der Praxis anhaltend gelingt.
Es ist keine Kleinigkeit für einen aus der Provinz stammenden einfachen Mann, in Budapest ein Perser zu sein, ohne besonders aufzufallen. Dazu hat er manches zu erlernen, nicht zuletzt die persische Sprache und Literatur, denn die Umdichtung führt nur dann zu einem Ergebnis, wenn sie durch die Epidermis des Bewußtseins dringt und sich tief in unser Wesen verankert. Die wirklich großen sich umdichtenden Armen verwandeln sich während des Prozesses der Umdichtung in wundersamer Weise, ihr Gesichtsausdruck verändert sich, ihr Haar nimmt eine andere Beschaffenheit an, ihre ungarische Sprache einen fremdländischen Akzent; in ihren Taschen verbergen sie kabbalistische Amulette, das abergläubische Spielzeug ihrer Heimat, zum Beispiel Persien.
Um bei einem der hervorragenden Vertreter der »exotischen Umdichtung«, meinem Freund H.B. zu bleiben: Er stand zeitweise als Perser in so hohem Ansehen, daß man ihn sogar zu offiziellen Empfängen des persischen Konsulats einlud, wo er sich im iranischen Dialekt mit altpersischer Deklination gebrochen mit dem Konsul und sonstigen persischen Anwesenden unterhielt, die natürlich kein einziges Wort dieser sonderbaren und vornehmen Sprache verstanden. Mein Freund erzählte Anekdoten aus der Blütezeit der Assassinen und Sassaniden und begrüßte den Konsul am Geburtstag des Schahs mit einer im mittelpersischen Idiom abgefaßten »Kasside«, einem Lobgedicht, und bat gleichzeitig um Geld.
Unlängst überraschte ich ihn im Kaffeehaus, umgeben von Lokalzeitungen, verklärt die »Gazette de Téhéran« lesend; er gab interessierte kleine Laute von sich, wenn er in den Lokalnachrichten über die Abendgesellschaft einer bekannten persischen Familie, eine Reise, ein Familienfest, über eine Verlobung oder Ernennung las; händereibend verkündete er, daß in Persien der Brotpreis gefallen sei, politisierte sogar, denn seine Sympathien neigten sich den Bestrebungen der liberal-demokratischen Partei zu. Er versuchte sich sogar mit der Übertragung des großen iranischen Gedichts »Schahnamé« ins Ungarische; die ausgezeichnete Übersetzung bot er dann verschiedenen Tageszeitungen an, allerdings mit wenig Erfolg.
Zu seiner Lieblingslektüre gehörten die Vierzeiler Omari Khayjams, die er in sich versunken in der Tram- und Untergrundbahn zu lesen pflegte, dann natürlich Firduzis großes romantisches Epos »Jussuf und Zuleika«, das er für ein Revuetheater in moderner Umdichtung als Libretto bearbeitete. Angeblich wurde es nur wegen des Fehlens einer geeigneten Darstellerin für die Rolle der Zuleika nicht aufgeführt.
Er kleidete und benahm sich wie ein Europäer und trug somit unserer Zivilisation und unserem Klima Rechnung; im Grunde genommen blieb er jedoch seiner umgedichteten Persönlichkeit treu: Sein schläfriger östlich anmutender Blick, die eleganten, etwas trägen Gesten, seine Vorliebe für schwarzen Kaffee, für Honig und Feigen und die orientalische Gleichgültigkeit seiner Umgebung und seinen Lebensverhältnissen gegenüber verliehen ihm für den oberflächlichen Beobachter das Gepräge eines Fremden, eines Durchreisenden, der aus einer anderen Welt stammt und mit nachlässigem Interesse unter uns lebt, wohlwollend, aber doch mit
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