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Schule der Armen

Schule der Armen

Titel: Schule der Armen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Wuchergeschäfte.
    Nun war ich, dem Beispiel der Zyniker folgend, gezwungen, die Welt nach meinem eigenen Bild zu formen, kein schönes Bild, aber wenigstens mir schon vertraut. Die Zyniker schlossen aus dem Begriff der Tugend die Wollust, das Vermögen, die Vorteile des Gesellschaftslebens, ja sogar die Schönheit aus; letzteres tat mir vielleicht am meisten weh, denn es ist fast unerträglich schwer, der Schönheit zu entsagen. Da ich aber arm war, blieb mir nichts anderes übrig. Mit dieser Methode gelang es mir, mich von der Welt abzuschließen, andererseits alles nicht zum höchsten Gut, also im engsten Sinne des Wortes zur Tugend Gehörige, aus meiner eigenen Welt auszuschließen.
    Zu jener Zeit war ich schon über dreißig. Ich ging, nachträglich sei es eingestanden, so vorsichtig vor, daß zunächst niemand, nicht einmal meine nächste Umgebung, etwas bemerkte. Man hielt mich höchstens für »etwas nervös«, und später glaubte man, ich sei ein »Sonderling« geworden. Bei meinem Rückzug aus der Gesellschaft – und sobald meine Umdichtung beendet war – nahm ich herzlich wenig mit, alles in allem eine Zahnbürste, die allernotwendigsten Bekleidungsstücke, eine Schreibfeder und einige Bogen Papier. Mit diesem minimalen Besitz verließ ich die Gesellschaft. An Geld nahm ich kaum etwas mit. Ich ließ alles zurück, was in der Gesellschaft als wertvoll galt und dessen Beschaffung den Ehrgeiz der Menschen anzuspornen pflegt, und zwar goldene Uhr, Picknickkoffer, silberne Leuchter, die Aussicht, je Parlamentsmitglied, Akademiker oder Mitglied des Aufsichtsrates eines industriellen Unternehmens werden zu können, die Möglichkeit des Besitzes einer Villa mit Obstgarten in einem Vorort, weiter auch die Anerkennung, den Beifall und die Auszeichnungen meiner Mitmenschen.
    All dies ließ ich mit so leichtem Herzen zurück, wie die Juden bei ihrer Flucht aus Ägypten ihre Töpfe und Haushaltsgegenstände zurückließen, für die sie, nebenbei gesagt, in der Wüste auch keine Verwendung gehabt hätten. Zieht ein Mensch nach dem gelobten Land, so ist es am richtigsten, wenn er in seiner Reisetasche nur Zahnbürste, Pyjama, Kölnisch Wasser und einige gute Bücher mitnimmt; wer sich eine neue Heimat sucht, sollte auf seinem Eroberungszug aus der alten Heimat weder Aktien, Liebesbriefe, Rang und Titel noch überflüssige Einrichtungsgegenstände mitschleppen.
    Eines Tages kam ich zu der Schlußfolgerung, daß diese Welt, für manche vielleicht die wunderbarste aller Welten, mir nichts bedeutete, und ich beschränkte den Verkehr mit ihr auf das Allernotwendigste. Ich begann damit, daß ich Telephonanrufe nicht beantwortete, und fuhr fort mit der Absage sämtlicher Einladungen zum Abendessen bei armen Familien der Gesellschaft, wo das Vorzimmer Halle genannt wird und ein ausgeliehener Diener nach dem Essen in Verlegenheit gerät, weil er nicht weiß und auch nicht wissen kann, wo der Hausherr die Zigarren und die Schnäpse aufhebt und nicht zu fragen wagt, was mich, solange ich in der Gesellschaft, besonders in Budapest verkehrte, immer sehr peinlich berührte.
    Dann geschah es, daß man mich an auffallender Stelle einer stark verbreiteten Tageszeitung als nicht ernst zu nehmend bezeichnete. Dies half mir viel, besonders in politischer Beziehung, da alle jene Parteien und Vereine, die mich bisher mit ihren ebenso ehrenden wie überflüssigen und sinnlosen Bemühungen zeitweise davon zu überzeugen trachteten, daß ich mein Glück ausschließlich in der von ihnen geplanten Gesellschaftsform finden würde, mich nun mit Verachtung straften und endgültig in Frieden ließen; eine durchaus verständliche Reaktion, denn in der Politik kann man nur ernste Menschen brauchen.
    Ich entsagte den Reisen, den Reisen im primitiven Sinne des Wortes, wie ich sie früher unternahm, wechselte zu den wirklich Armen hinüber und zu den für die sich Umdichtenden würdigen Reisegelegenheiten, wovon wir in einem späteren Kapitel noch sprechen werden. Dann pumpte ich meine Freunde an, die meine Bitten jedoch abschlugen, so daß ich in Zukunft nicht mehr mit ihnen zu verkehren brauchte und auch nicht mehr gezwungen war, ihre ermüdenden Vorträge über berufliche Sorgen, über ihre albernen und sich immer wiederholenden Liebesgeschichten, über die Gestaltung der weltpolitischen Lage mit besonderer Berücksichtigung der Staaten des Donaubeckens anzuhören.
    Dann schickte ich mich an, außerhalb der Gesellschaft zu leben. Es ging leichter, als

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