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Schule der Armen

Schule der Armen

Titel: Schule der Armen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Sonderlinge wieder, die zur Hose überhaupt keine Joppe tragen, sondern nur ein Hemd, und selbst dies nach einer ganz individuellen Art.
    Wenn der Arme in der Zeitung einen Modeartikel mit dem Titel »Was tragen wir diesen Sommer?« liest, so kann er sich und seinen Familienmitgliedern eine angenehme Stunde bereiten. Er versammelt etwa seine Verwandten und Bekannten um sich und bespricht mit ihnen, was sie in diesem Sommer tragen sollen. Nach den Modenachrichten in den Tageszeitungen, die das modelüsterne Publikum rechtzeitig über die neuesten Bademoden in Palm Beach oder am Strand von Cannes unterrichten, kann dann auch der Arme beschließen, in dieser Saison im Donaufreibad in langen, unten zusammengebundenen Unterhosen zu erscheinen.
    Häufig lesen wir, daß wunderschöne Filmstars in Hollywood junge Krokodile als Maskottchen tragen oder sich Schlangen um den Hals winden und bei Gesellschaften Löwenbabys an der Leine mitschleppen. Nichts ist für die Frau des Armen leichter, als mit dieser Mode Schritt zu halten, und selbst wenn es für unsere Intelligenzstufe nicht zu einem Krokodil reicht, so können wir unseren Frauen immer noch eine Eidechse oder einen Igel schenken, die sie dann, um den Hals geschlungen oder am Schnürchen nachgezerrt, auf den Donaukai mitnehmen können. »Was tragen wir diesen Sommer?« kann der Arme seine Familienmitglieder fragen, um darauf überraschende und originelle Antworten zu erhalten. Liest der Arme in der Zeitung, daß nach einer Information des Modeberichterstatters der Frack abends im Theater nicht mehr obligatorisch ist und daß man an seiner Stelle den doppelreihigen Smoking mit Seidenhemd trägt, so atmet er erleichtert auf, denn nun kann er den von seinem Vater ererbten Frack für seine Kinder zum heute modernen »Overall« verarbeiten lassen.
    Es ist vollkommen verfehlt zu glauben, der Arme könne mit der Mode auf seine Weise nicht Schritt halten. Wirklich elegante Männer habe ich nur in der Welt der Armen angetroffen. Nur sehr arme und außerordentlich begabte Männer verstehen jenen intensiven Hochgenuß, den der arme Dandy, denn es gibt auch solche, in der Frühe bei der Auswahl zwischen zwei Krawatten oder zwei Hemden empfindet, besonders wenn er nicht über ein drittes Exemplar verfügt. In solchen Fällen tritt der Arme zum Fenster und blickt hinaus; erscheint der Morgen perlmuttergrau und neblig, entschließt er sich eher zur grünen Krawatte, und wenn die Sonne strahlt, zur flammendroten.
    Es verursacht mindestens den gleichen Genuß, die einzige Krawatte mit besonderer Sorgfalt zu binden, wie mit dem englischen Diener die Tagestoilette je nach Laune oder gesellschaftlicher Verpflichtung zu besprechen. Wie mancher sehr empfindliche und schwerreiche Mensch die Schuhe zuerst einige Male von seinem Diener tragen läßt, um sie richtig bequem zu haben, so läßt der noch viel empfindlichere Arme nicht selten seine Schuhe von den Reichen bequemtreten.
    Die edlen Armen kleiden sich mit gewählter Eleganz. Schon bei ihren Einkäufen fällt dies auf; der Reiche verwendet nie die gleiche Sorgfalt beim Einkauf eines Modeartikels, eines Hemds oder eines Anzugs wie der Arme, der sich oft stundenlang besinnen muß, ehe er sich beim Shirtmaker zum Kauf einer Unterhose entschließt. Die Armen ersetzen zuweilen die Mängel ihrer Garderobe mit überraschenden Modeeinfällen. Ich kenne Arme, die mit einem um den Hals gewundenen Handtuch so geschickt das Fehlen von Hemd, Krawatte und Kragen verbergen, daß der oberflächliche Beobachter ihn für einen vom Morgenritt heimkehrenden Modejüngling halten könnte, der statt Kragen und Krawatte ein weißes Pikeetuch um den Hals trägt.
    A.H., einer unserer prominentesten Wanderarmen, erzählt in seinen Memoiren, daß Knut Hamsun als junger Mann in einem Münchner Kaffeehaus die ausgefransten Enden seiner Hose sorgfältig mit einer Nagelschere beschnitt, die er ganz ungeniert aus der Tasche zog. Hamsun, übrigens ein notorischer Armer, hatte damals schon seine Werke »Hunger« und »Pan« geschrieben, und A. H. gibt zu, daß ihm beim Anblick Hamsuns die Tränen in die Augen traten.
    Wedekinds Taschen waren bekanntlich immer leer, und dennoch zog er sich mit ekklesiastischer Eleganz an, trug am liebsten einen schwarzen Bratenrock und ließ sich bei seinen Spaziergängen durch die Straßen Münchens von erschrockenen Schulkindern, die den mit düsterer Feierlichkeit dahinschreitenden Autor von »Lulu« für einen Geistlichen hielten, die

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