Schule der Armen
schwarz behandschuhte Rechte küssen.
Der berüchtigte Journalist Z.V., einer der Modehelden seiner Zeit, der aus politischen Gründen längere Zeit im Gefängnis verbrachte, schneiderte sich aus gestreiftem Gefangenentuch eigenhändig einen Anzug, den er sodann mit viel Würde und Selbstverständlichkeit trug.
Berühmt für seine Eleganz in den Nachkriegsjahren war ein hervorragender Armer, der Zeichner K.S., der mit Stiefeln und Lederhose auf den Pariser Boulevards allgemeines Aufsehen erregte, bis er dann eines Tages wegen Unterschlagung nicht ganz freiwillig ins dunkelste Afrika verschwand.
Einer unserer berühmtesten Kunstmaler, der behördlich nachweisbar seit vielen Jahren keinerlei Geld auch nur aus der Nähe gesehen hat, gilt heute noch dank seines aus Kunstleder angefertigten Übergangsmantels, den er vor zwei Jahrzehnten von einem abgerüsteten Trainsoldaten auf der Rákoczistraße in Budapest erstanden hatte, als »Arbiter elegantiarum« auf dem Montparnasse.
Das Geheimnis der Eleganz der Armen liegt nicht so sehr in der Qualität des verwendeten Stoffs oder im Schnitt, sondern eher in der Haltung, mit der sie den Anzug tragen. Wir kennen vernachlässigt aussehende Bettler, die vor den Kirchen ihrem Beruf nachgehen, aber auch nette, gepflegte, elegante Bettler. Z.R. zum Beispiel ließ sich während seines Brüsseler Exils, nachdem seine Anzüge schäbig geworden waren, einen Bart wachsen und trug diesen mit der gleichen Eleganz wie einst den Frack.
Gelegentlich züchtete sich der arme Mann sozusagen Bekleidungsstücke heran, die sodann, gleich einem Körperteil, untrennbar mit seinem Wesen verbunden bleiben; ein so herangezüchtetes Stück, ein Hut, ein Hemd, trägt er dann bis zu seinem Lebensende. Als bescheidenes Beispiel erwähne ich, daß es mir vor dreizehn Jahren in Florenz gelungen ist, einen togaartigen hellblauen Bademantel heranzuzüchten, den ich seitdem mit unerreichbarer Eleganz trage und in dem ich nach der Behauptung von Sachverständigen Brutus ähnlich sehe, wie er im Schutz einer Säule mit dem Dolch in der Hand auf Cäsar lauert.
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D er Wandertrieb der kultivierten Armen ist ein naturwissenschaftlich nicht ergründbares biologisches Rätsel und hat weder mit sozialen Hintergründen noch mit der Völkerwanderung etwas zu tun. Diese Erscheinung ist so mysteriös wie der Zug der Heringsschwärme zu ihren Laichplätzen. Beobachten wir das Leben der Armen aus nächster Nähe, so stellen wir fest, daß weder klimatische Einflüsse, wie bei den Vögeln, noch Erwerbsfragen, wie bei den Bankiers, sie zum Wandern nötigen, sondern ganz einfach eine mysteriöse innere Unruhe, eine Unzufriedenheit, die Dienstboten geradezu zwingt, den gewohnten Arbeitsplatz ohne jeden besonderen Grund aufzugeben und in einem weiter entfernten Stadtteil eine neue, sehr oft ungünstigere Stellung zu suchen.
Französische Monteure überkommt plötzlich die Sucht, sich an ihren Arbeitgeber zu wenden und nach Südamerika auszuwandern. Das Wandern ist eine seit Urzeiten wahrnehmbare beunruhigende, unerklärliche, auffallende und mysteriöse Begleiterscheinung im Leben der Armen. Die Behauptung, der Arme greife, von Wissensdurst getrieben und vom Kulturhunger gequält, zum Wanderstab, um fremde Länder kennenzulernen, seine Handfertigkeit zu vervollkommnen und seinen Wissensdurst zu stillen, ist eine fromme Vorspiegelung nicht bestehender Tatsachen. Der Arme wandert auch dann von einem Stadtteil zum anderen, aus einem Dorf ins andere, wenn er weiß, daß ihn dort keine neue Welt erwartet; er wandert mit eigensinniger Zwecklosigkeit, als hoffte er, irgendwo eine Lösung, eine Antwort zu finden auf eine Frage, die seine Gedankenwelt pausenlos beschäftigt und für deren Formulierung seine Zeit nie reicht.
Es wäre ein krasser Irrtum, den Wandertrieb der Armen mit der modernen Reiselust der Reichen oder mit dem berufsmäßigen Herumziehen der Vagabunden zu verwechseln. Nach dem Zeugnis der Historie machen sich die Armen ohne jeden Grund auf den Weg und wechseln ihr Domizil, sobald sie fühlen, daß sie an dem Ort, wo sie sich seßhaft gemacht haben, nach einer gewissen Zeit keine Antwort auf diese unklare, nicht formulierbare und dennoch brennend schmerzliche, erregende Frage erhalten, die das Seelenleben des einzelnen ebenso wie auch die große völkische Gesamtheit der Armen ununterbrochen beschäftigt.
Eine Geschichtsschreibung, die die Völkerwanderung einfach mit abgegrasten Weidegründen, mit dem Nachlassen
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