Schule der Armen
nicht. Mein einfaches, billiges und überall anzubringendes Klingelsystem empfehle ich wärmstens einem jeden, der die komplizierten Einrichtungen der zivilisierten Gesellschaft satt hat und sein Leben durch gesunde und angenehme Methoden zu vereinfachen wünscht.
Diese recht primitive elektrische Anlage läßt sich ohne weiteres im Schlaf-, Arbeits- oder Speisezimmer anbringen und bietet vollkommenen Komfort und große Sicherheit. Der Vorteil dieser Anlage besteht vor allem darin, daß sie mein Privatleben vor den Störungen und Unbequemlichkeiten schützt, die einem Dienstboten sonst bereiten. Dank meines Klingelsystems kann die Hausangestellte die Zimmer nie zu ungeeigneten Zeiten betreten: Will sie mit ihrem Brotherrn sprechen, so setzt sie von außen das Läutewerk in Bewegung und betritt das Zimmer erst nach Verlauf einer kurzen Zeitspanne, in welcher man sich gewissermaßen zu ihrem Empfang vorbereiten kann. Diese kleine, aus einigen Metern Draht und einer elektrischen Klingel bestehende Erfindung empfehle ich besonders jenen armen Schriftstellern, Künstlern, Politikern, Beamten und Militärs, die nicht nur in den Augen ihrer Vorgesetzten, sondern auch vor ihren Dienstboten als große Männer gelten wollen; wie wir wissen, ist letzteres besonders schwer zu erreichen.
Meine Alarmglocke, die das Mädchen von ihrem Zimmer aus nach Belieben in Bewegung setzt, sobald sie das Bett machen, den Tisch decken oder abräumen will, verleiht mir das Gefühl der absoluten Sicherheit und behütet mich vor der Unannehmlichkeit, überraschend von einer Fremden in eben jenem Augenblick gestört zu werden, wo ich in aller Gemütsruhe die Bequemlichkeit meines Heims genießen, in der Nase bohren oder in mangelhafter Bekleidung auf und ab gehen will; all dies kann bedauerlicherweise bei den größten Politikern, hohen Militärs, Schriftstellern, ja sogar bei kirchlichen Würdenträgern hin und wieder vorkommen, von anderen ungezwungenen Situationen des Lebens gar nicht zu reden. Den Reichen dagegen droht keine Gefahr dieser Art.
Die Gefahr des Prestigeverlustes bedroht ausschließlich den Armen. Der Reiche bleibt nämlich in den Augen seiner Dienstboten, so ungeniert und menschlich er sich auch benimmt, immer der große Mann. Die schon im Reichtum geborenen Reichen baden, unterhalten sich über vertrauliche Angelegenheiten, ja, handeln sogar in Anwesenheit ihrer Chauffeure, Lakaien, Kammerzofen und Jäger so unbefangen, als wären sie allein im Zimmer; denn für den wirklich Reichen sind Dienstboten keine Personen, die seine Handlungen, selbst in Gedanken, einer Kritik unterwerfen würden. Und am sonderbarsten ist die Tatsache, daß die Dienstboten, die ja von ihren Herren seit Generationen sozusagen per Inzucht ausschließlich zu diesem Zweck gezüchtet werden, tatsächlich nicht auf den Gedanken kommen, ihre Herrschaft zu kritisieren.
Die wirklich reiche Frau zieht sich bekanntlich vollkommen ungeniert vor einem männlichen Dienstboten aus, denn es kommt weder ihr noch dem Diener in den Sinn, daß die Situation für einen der Betreffenden anstößig sein könnte; und die reichen Männer lassen sich ohne jeden Hintergedanken von ihrem Zimmermädchen nach dem Bad abfrottieren. Wie der Mensch sich nicht vor seinem Spiegelbild schämt und auch nicht vor seinen Händen und Füßen, so schämen sich die vornehmen Leute nicht vor ihrem Diener oder der Zofe. Der Reiche spricht bei Tisch unbefangen in Anwesenheit des Dieners oder im Wagen vor dem Chauffeur, denn er weiß, daß er eigentlich allein ist und gewissermaßen vor seinem zweiten Ich seinen Gedanken freien Lauf läßt. Und es kommt tatsächlich selten vor, daß die Dienstboten einem richtigen Reichen gegenüber von ihrem Recht zur Kritik Gebrauch machen.
Im Haushalt eines Armen dagegen, wo beide arm sind, Hausherr und Dienstbote, ist es fast unvermeidlich, daß der arme Dienstbote den armen Brotgeber früher oder später mit Mißtrauen betrachtet. Ein Mädchen für alles sieht den Herrn des Hauses, der dreihundertdreißig Pengö verdient, natürlich nicht als überirdisches Wesen an; sie sieht in ihm nur einen Kleinbürger, der als Gegenleistung mehr von ihr verlangt, als die dreißig Pengö wert sind, die sie von ihm erhält, und der ihr anderseits zu wenig bietet für die dreihundertunddreißig Pengö, die er verdient. Dieser Verdacht des Armendienstboten ist meist begründet.
Ohne das erwähnte Klingelsystem entsteht also früher oder später zwischen dem Armen und
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