Schule der Armen
seinem Dienstmädchen ein für das häusliche Leben der Armen besonders charakteristisches gespanntes, mit Mißtrauen und Mißachtung durchwobenes Verhältnis. Das Dienstmädchen kann nur schwer die Enttäuschung über den Brotgeber vermeiden – mein Läutewerk ist das geeignete Instrument zur Linderung dieses bedauerlichen und erniedrigenden Verhältnisses. Nebenbei regt sich im Armen nur zu oft ein gewisses Schuldgefühl dem Dienstboten gegenüber, er bezeichnet diese vage und peinliche Regung als »soziales Verantwortungsgefühl«, übrigens ein recht bequemes Schlagwort, denn genausogut könnte er auch sagen, daß sich, vom kulturmorphologischen Standpunkt aus betrachtet, seine eigenen Ansichten mit der Auffassung des Dienstmädchens nicht decken.
In der Tat erledigt das Dienstmädchen im Haushalt des Armen die gesamte wirkliche Arbeit, räumt auf, macht die Betten, holt ein, kocht, richtet an, spült ab, tut nebenbei noch von früh bis spät dies und jenes und erhält für diese Tagesleistung einige Heller und nicht das beste Essen; während der Arme in seinem Büro sitzt, billige Zigarren raucht und gemütlich an seinem Schreibtisch eine der vielen Pseudoarbeiten verrichtet, ohne die die Maschinerie der Zivilisation zwar viel reibungsloser laufen, der Arme jedoch in den Mond gucken würde; darum bleibt der Gesellschaft der Armen nichts anderes übrig, als diese Ämter zu dulden. Der Dienstbote weiß das, und wenn er es vielleicht auch nicht ganz genau weiß, so ahnt er es zumindest.
Die Spannung in ihren gegenseitigen Beziehungen wird durch meine Erfindung stark gemildert. Wenn mein Dienstmädchen mit mir sprechen will, so läutet sie einmal; wenn ich nicht sofort komme, dann wartet sie etwas und läutet noch einmal; jetzt gehe ich hinaus und erkundige mich nach ihren Wünschen.
Lord Byron experimentierte, wie wir von seinem Biographen erfahren, zur Zeit seines Verhältnisses mit Caroline Lamb, einer Dame der Gesellschaft, mit einem Klingelsystem, das dem von mir erfundenen sehr ähnlich war. Nach den, wie wir wissen, für Byron nicht sehr erfreulichen Rendezvous in seiner Junggesellenwohnung pflegte er, bevor seine Freundin ihn verließ, zu läuten, um dem Diener zu signalisieren, sich nicht blicken zu lassen. Dieses einfache und geistreiche System vermochte Caroline Lamb, übrigens eine Dame von recht beschränktem geistigem Horizont, nie zu verstehen, da sie sich unter anderen auch jenes gesellschaftliche Vorurteil angeeignet hatte, daß man nur dann läutet, wenn man den Diener zu sehen wünscht. Byron, eine nicht mit Vorurteilen belastete Seele, der beispielsweise seine Halbschwester Augusta bei verschiedenen Gelegenheiten in Anwesenheit seines Dieners Fletcher mit den Zeichen seiner Liebe und Zärtlichkeit überhäufte, schien schon etwas von den nicht ganz natürlichen und ungezwungenen Beziehungen zwischen Herrn und Diener zu ahnen, denn er kam ja auch auf ein Klingelsystem, um dem Diener anzuzeigen, daß er ihn nicht sehen möchte.
Mein Klingelsystem ist allerdings noch vollkommener, mich sieht mein Dienstmädchen nur dann, wenn sie mich braucht. Ich betrachte dieses Klingelsystem als den wichtigsten Erfolg meiner Bemühungen, das Leben für den Armen zu vervollkommnen und zu vereinfachen, und ich kann es ihm nur wärmstens empfehlen.
Im Umgang mit Dienstboten ist es außerordentlich schwierig, den richtigen Ton zu treffen. Dienstmädchen hegen einen berechtigten Verdacht gegen alle »sozialen« Annäherungsversuche und Liebenswürdigkeiten eines Menschen, dem sie für dreißig Pengö Monatsgehalt täglich mehrmals »Küß die Hand« sagen müssen. Am vernünftigsten handelt der Arme, wenn er sein Dienstmädchen als »bezahlten Feind« betrachtet – übrigens eine beliebte Ausdrucksweise kleinbürgerlicher Hausfrauen unter sich –, als Feind, der aus unbekannten Gründen nicht mehr bereit ist, für seinen Brotgeber zu leben und zu sterben und mit ihm nur zu sprechen, wenn es die Gelegenheit unbedingt erfordert.
Die Frau eines Armen irrt sich sehr, wenn sie glaubt, das Vertrauen ihres Dienstmädchens mit den Worten »Schauen Sie mal her, Emma, was mir mein Mann geschenkt hat« zu gewinnen oder zu festigen und dabei einen neuen Ring oder ein Sommerkleid vorzuführen. Diese Vertraulichkeit ist bestimmt nicht der richtige Weg, um die Anhänglichkeit eines Dienstmädchens zu festigen. Genauso falsch ist es, die armseligen Schätze des Dienstmädchens zu bewundern, einen Hut oder eine Handtasche,
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