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Schule der Armen

Schule der Armen

Titel: Schule der Armen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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den Einfall, eine Forschungsreise zu unternehmen. Da ich jedoch im Augenblick nicht über genügend Geld verfügte, fuhr ich nur bis Füzesabony, eine Kleinstadt unweit von Budapest, wo ich einen unvergeßlichen Tag verbrachte und mit Material für eine größere ethnographische Studie nach Hause kam. Die Welt ist, mit gebührendem Interesse und mit Begeisterung betrachtet, überall gleich unverständlich: Der Budapester Vorort Pestszentlörincz kann uns so wundersam und fremdartig vorkommen wie Delhi. Bei der Beobachtung der vorüberziehenden Landschaft durch das Fenster der Lokalbahn vermögen wir zwischen den Örtchen Tétény und Aquincum die gleichen Erscheinungen wahrzunehmen wie im brausenden Expreß durch die unendlichen Steppen von Texas.
    Man braucht während der Reise nur daran zu denken, daß überall, wo ein Schienenstrang die Gegend durchschneidet, Menschen wohnen, zum größten Teil Arme, die alle nicht wissen, weshalb sie eigentlich leben. Von diesem Blickwinkel aus betrachtet, ist jede Landschaft, durch die eine Bahn fährt, unerklärlich aufregend und interessant. So können wir noch sagen, daß sich dem Reisenden auf der Linie 6 der Straßenbahn fast genausoviel Gelegenheit bietet, Erfahrungen und Material zu sammeln, wie auf einer Forschungsreise durch Grönland.
    Die Welt ist gleich weit, fremdartig und unnahbar, wo immer wir auch in sie eindringen. Zum Trost wollen wir den Armen noch sagen: Zur abenteuerlichsten Reise gehört manchmal nicht mehr als ein Umsteigbillett im Autobus. So fuhr ich einmal mit dem 3er Autobus von der Attilastraße in die Dalnokstraße, und meine seltsamen Erlebnisse auf dieser kurzen Fahrt wogen eine Reise nach China auf.

7
    W enn wir eines der geheimnisvollsten Gebiete des Lebens untersuchen wollen, das Wesen der Beziehungen zwischen Frauen und Armen, so müssen wir zunächst feststellen, daß bei diesem Abschnitt unserer Betrachtungen jede Theorie versagt. Wie wir gesehen haben, kann man den Armen lehren, ohne Geld zu reisen und sich zu kleiden, dabei sogar mit der Mode und dem Geschmack der Zeit Schritt zu halten und mit Hilfe der Umdichtung an den gehobenen Freuden des Lebens teilzunehmen; dagegen steht fest, daß es weder Umdichtungen noch Hilfsmittel irgendwelcher Art gibt, die es den Armen ermöglichen, Frauen ohne Geld zu erobern. (Wie Mommsen in seinem großen geschichtlichen Werk berichtet, gewannen schon die alten Römer die Gunst der Frauen durch Geldgeschenke.)
    Ohne Geld kann der Arme vornehm, weise, fröhlich und auf seine Art und Weise sogar glücklich sein, ohne Geld kann er gesund und anspruchsvoll sein, kann als kirchlicher Würdenträger, als Militär oder als Wissenschaftler bedeutende Erfolge erzielen – nur in der Frauenwelt ist ihm, ohne entsprechende Geldmittel, jeder Erfolg versagt. Zweifellos werden sich viele Frauen und irregeführte Männer gegen die starre Formulierung dieser These mit aller Macht wehren und ihre Richtigkeit energisch bestreiten. Wir haben uns auf Angriffe dieser Art vorbereitet und sind im Besitz von Material, Argumenten, Belegen und überzeugenden Beweismitteln aus verwandten Gebieten der Literatur, und wir sind bereit, allen Angriffen zu begegnen, die es auf die Richtigkeit unserer These abgesehen haben.
    Ohne Geld sind Beziehungen zwischen Armen und Frauen so undenkbar, wie, mangels eines vermittelnden Elements, das Phänomen des Schalls im luftleeren Raum. Bei dem Phänomen Liebe zwischen Mann und Frau spielt das Geld die Rolle des vermittelnden Elements. Analysieren wir die Einzelheiten dieser sonderbaren Erscheinung, so vermögen wir der starren Formulierung eines Armenkollegen, dem gründlichen Forscher und Kenner des Liebeslebens, nicht ganz beizupflichten, der auf Grund gewissenhafter Untersuchungen dieser Erscheinungen seine Erfahrungen in dem lapidaren Lehrsatz zusammenfaßt: »Frauen lieben reiche Männer, arme Männer nicht.«
    Unserer Ansicht und Überzeugung nach sagt diese These zwar mit wenigen Worten viel Wahres, doch ist sie zugleich einseitig und lückenhaft. Zweifelsohne lieben Frauen nicht nur reiche Männer, sondern zeitweise auch arme, mit dem Unterschied, daß letzteren diese Liebe nicht viel Freude bereitet. Da die Frauen bekanntlich mit besonders verfeinerten Sinnesorganen gesegnet sind, die die Funktionen der Sinnesorgane eines Durchschnittsmannes weit übertreffen, so spüren sie geradezu telepathisch, wenn ein Mann kein Geld hat, und wehren sich dank ihres durchaus gesunden Instinks mit

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