Schule der Armen
Ansprüche stellt, ersehen wir, daß der Arme gleich bei der ersten Gelegenheit 13,54 Pengö in das Abenteuer investieren muß. Berücksichtigen wir, daß nach den Feststellungen Woytinskis (Wl. Woytinski: Die Welt in Zahlen. Berlin 1925) das Weltvermögen im Jahre 1914 tausend Milliarden betrug, von dem während des Ersten Weltkrieges verlorengingen:
a) direkte Ausgaben …
260 Milliarden Dollar
b) indirekte Verluste …
90 Milliarden Dollar
zusammen:
350 Milliarden Dollar
dann werden wir einsehen, daß aus dem übriggebliebenen Weltvermögen, welches in den letzten Jahren durch den Sturz der Rohstoffpreise und die beschränkte Aufnahmefähigkeit der Weltmärkte noch weiter abgenommen hat, wenig für den Durchschnittsarmen übrigbleibt.
Dies hat zur natürlichen Folge, daß der Arme in seinem Liebesleben mit ununterbrochenen Hemmungen kämpft und gezwungen ist, selbst seine edelsten Gefühle monatlich des öfteren zu unterdrücken. Die gleiche Investition, die im Fall der uneigennützigen Liebe den Armen gewissermaßen schon beim Austausch des ersten Lächelns auf 13,54 Pengö zu stehen kommt, erhöht sich im Standardfall, wenn die Frau die Einladung aus Eigennutz annimmt, sofort auf 39,– Pengö. Die peinlichen und plumpen Anstrengungen der schöngeistigen Schriftsteller, der Moralisten und Psychiater, die die sozialen Hintergründe der komplizierten Lage eines Armen in Liebesangelegenheiten hartnäckig bestreiten und die noch weniger zugeben wollen, daß es sich a priori um eine rein finanztechnische Frage handelt, zum Teil auch versuchen, mit biologischen Gründen dieses Elend im Liebesleben von neun Zehnteln der Menschheit zu erklären – diese Bemühungen lösen bei jedem Sachverständigen, der am eigenen Leib erfahren hat, was es heißt, ohne Geld verliebt zu sein, energischen Protest aus.
Wir wissen sehr gut, daß die Frauen, von offenbar geldlosen Philosophen mit grundloser Herablassung als »sexus sequior« bezeichnet, in ihrer großen Mehrheit viel zuviel Geschmack besitzen, um von einem Armen, den sie lieben, Geld zu verlangen. Im Grunde genommen sind die Frauen viel feinfühliger und besser, als man glaubt. Andererseits ist es nicht zu übersehen, daß sie selbst im verliebten Zustand gern konsumieren. Offensichtlich handelt es sich hier um ein unbewußtes, instinktmäßiges Tun – gleich dem Honigsammeln der Bienen –, vielleicht sogar gegen ihren Willen und gegen ihre bessere Einsicht. Es scheint fast so, als glaubten sie – dank ihrer verfeinerten Sinne –, mit dem gesteigerten Konsum eine nationalökonomische Pflicht zu erfüllen.
Ein Kenner des Liebeslebens der Armen umschrieb mit folgenden poetischen Worten diese Erscheinung: »Die Frauen sind wahrlich mit Blumen bedeckte Gefäße.« Diese Definition ist dichterisch und vornehm, dabei sehr treffend: Die Frauen sind tatsächlich kunstvoll gearbeitete Gefäße, die man ununterbrochen mit Geschenken füllen soll, mit einem edlen und kostspieligen Inhalt, um sie sodann mit duftigen Blumengebinden zuzudecken. Die Frauen ziehen die Geschenke förmlich an, selbst die bescheidensten, und können mit einer solchen Grazie und Liebenswürdigkeit, vor allem aber mit solcher Regelmäßigkeit, Gaben entgegennehmen, als handelten sie auf eine höhere Eingebung. Selbst wenn sie offensichtlich verliebt sind, versuchen sie auf irgendeine Weise, ihrem armen Freund einen neckischen kleinen Schaden zuzufügen, drücken etwa vor Verlassen der Wohnung schnell noch die Zahnpasta aus der Tube oder schneiden in ihrem Übermut mit der Nagelschere konzentrische Ringe in die Socken des Unglückseligen.
Ohne zu überlegen, zerstören sie mit spielerischen Manipulationen die Warenvorräte der Welt und ermuntern so den Armen zum Kauf von allen möglichen Verbrauchsgütern; darin besteht ihr unfreiwilliger kleiner Beitrag zur Bekämpfung der allgemeinen Absatzkrise. Sie sind erfinderisch im Verbrauch, und ihre Einfälle sind von mannigfaltiger Natur.
Als wir zuvor auf Grund genauer Berechnungen mit 39,– Pengö den Anfangsbetrag angegeben haben, den der Arme sozusagen schon beim Austausch des ersten Lächelns für die geliebte Frau, die aus Eigennutz mit ihm zu Abend ißt, auszugeben gezwungen ist – unsere Berechnung hält ohne Rücksicht auf die Wertbeständigkeit der Valuten auch in der internationalen Relation stand –, haben wir dem »Eigennutz« eine so zahme, alltägliche und harmlose Deutung vorausgesetzt, daß sie in der Praxis schon fast
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