Schule der Lüfte wolkenreiter1
Manchmal taten ihr hinterher die Arme weh, als hätte sie selbst hinter der Botenstute ihre Runden gedreht, als wäre sie selbst dicht über die Baumwipfel gestreift und hätte die tief hängenden Wolken durchstoßen,
als wäre sie in einem mutigen Winkel hinabgesegelt, bis ihre Füße das Gras berührten und sie mit weit ausgebreiteten Flügeln sicher auf dem Boden landete.
Man konnte Tup beim Wachsen fast zusehen. Einmal maß ihn sogar Meisterin Winter mit der Hand und ausgestreckten Fingern und zählte murmelnd vor sich hin.
»Wie groß ist er?«, erkundigte sich Lark.
Die Pferdemeisterin sah sie nicht an, sondern fuhr mit geübter Hand über Tups Kruppe. »Dreizehn Handbreit«, erklärte sie knapp. »Es wird Zeit, ihn zunächst an den Sattel zu gewöhnen, am Boden. Er wächst so schnell, dass es sein Gleichgewicht in der Luft beeinträchtigt. Wir müssen vorsichtig sein.«
»Oh«, sagte Lark schwach. »Das wusste ich nicht. Das habe ich gar nicht gesehen.«
»Wie sollten Sie auch, wenn Sie selbst gar nicht da oben waren?«, zischte Meisterin Winter scharf.
Lark biss sich auf die Lippe. Sie hatte mittlerweile gelernt, dass Meisterin Winter immer dann am schärfsten reagierte, wenn sie sich die größten Sorgen machte. Was sie wohl heute so beunruhigte?
Die Pferdemeisterin beendete ihre Untersuchung an Tup und sah Lark an. »Wir haben uns noch einmal mit Eduard Krisp beraten. Offenbar steht fest, dass Ihr Fohlen nicht kastriert wird. Seine Hoheit, das heißt, der Fürst hat es so entschieden, weil er herausfinden möchte, welche Fohlen er später zeugen kann.«
»Oh! Heißt das, Sie wissen, welcher Blutlinie er angehört?«, hauchte Lark.
»Nein.« Meisterin Winter knirschte mit den Zähnen und starrte an Lark vorbei gen Osten, wo die Spitzen der Wei ßen Stadt in der Abenddämmerung glitzerten. Es wurde
mittlerweile schon früh dunkel, und oft beendete Lark ihre Aufgaben und Studien erst, wenn sich bereits die Nacht über die Akademie gelegt hatte. »Nein, Larkyn. Es bedeutet, dass der Palast entschieden hat, Eduard Krisps Rat zu ignorieren, worüber er sehr unglücklich ist. Es bedeutet auch, dass wir wahrscheinlich nie herausfinden, woher Tup stammt.«
Lark zögerte und streichelte abwesend Tups Hals. »Meisterin Winter«, fragte sie schließlich vorsichtig, »ist das denn so wichtig? Tup und ich können doch dienen, egal ob er ein Bote, ein Nobler oder ein Kämpfer ist... oder ein Rückfall. Er ist ein wundervolles Fohlen. Müssen wir denn unbedingt wissen, aus welcher Blutlinie er stammt?«
Meisterin Winter wandte den Blick wieder Lark zu. Sie sah sie eine ganze Weile an, während ihre harten Gesichtszüge in der Dämmerung weicher zu werden schienen. »Sie haben Recht, Larkyn. Er ist ein schönes Fohlen, stark, lebendig und temperamentvoll. Und ähnelt darin sehr seiner Reiterin.«
Lark senkte den Blick, damit man nicht sah, wie stolz sie war.
»Es geht dabei nicht nur um Tup«, fuhr Meisterin Winter fort. »Sondern um Oc und um alle geflügelten Pferde.« Sie streichelte Tup und folgte mit der Hand der Linie seines Hinterteils. »Es geht um Fürst Friedrichs Lebenswerk, darum, Kallas Schöpfungen zu schützen und zu bewahren und sicherzustellen, dass sie so gut sind, wie es nur möglich ist. Sie werden im ganzen Fürstentum geschätzt, ja sogar auf der ganzen Welt, und sie beschützen Oc auf ihre unterschiedliche Art und Weise. Für Friedrich sind jedoch immer die Pferde selbst das Wichtigste gewesen, die Reinheit der Blutlinien, die Stärke ihres Erbes. Er hat
sie um ihrer Schönheit und ihres Temperaments willen geliebt und … wegen all der Dinge, für die auch wir sie lieben.«
Sie zog die Hand von Tups Fell und schlug leicht damit gegen ihren Schenkel. »Ich mag Ihr Fohlen, und ich habe keinerlei Zweifel, dass Sie gemeinsam mit ihm dem Fürstentum gute Dienste leisten werden. Doch wenn irgend jemand die Blutlinien verunreinigt hat – dann hat er Hochverrat begangen. Und Ihr Fohlen nicht zu kastrieren bedeutet, weitere Einmischung in die Reinheit der Zucht zu erlauben.« Ihre Stimme wurde ganz leise. »Sie dürfen mit niemandem darüber sprechen, Larkyn, aber Sie müssen sich dessen immer bewusst sein.«
»Ja, Meisterin.« Lark zögerte, und dann platzte es aus ihr heraus: »Aber der Sattel? War es denn nicht der von Char?«
Meisterin Winters Miene wurde unvermittelt hart. »Ich weiß es nicht. Ich habe ihn nie gefunden.«
»Char war ein Botenpferd«, behauptete Lark voller
Weitere Kostenlose Bücher