Schule der Lüfte wolkenreiter1
»Das sehe ich selbst, sei nicht albern. Genau darum geht es doch. Aber wenn es sich nicht an mich bindet, hat es überhaupt keinen Nutzen für mich.«
Jinson öffnete und schloss den Mund wie ein Fisch auf dem Trockenen. Als er die Sprache wiedergefunden hatte, stammelte er: »Aber Hoheit … der Fürst …!«
Wilhelm grinste fast unmerklich. »Schon sehr bald werde ich Fürst sein«, erklärte er. Jinson erstarrte und schien in sich zusammenzusinken. Wilhelm kicherte. »Ganz recht«, meinte er, »du solltest mir nicht in die Quere kommen und dieses ekelhafte Fohlen auch nicht.«
Jinson senkte den Blick und starrte auf seine Stiefel.
Wilhelm betrachtete das Fohlen, das schwach im Stroh lag. Die Stute berührte es mit dem Maul, schnaubte und wieherte leise, um es zum Aufstehen zu bewegen. »Hol die Stute aus dem Stall«, forderte Wilhelm Jinson schließlich auf. Der Stallbursche betrat den Stall und legte der Stute ein Halfter um. Er warf Wilhelm einen letzten, verzweifelten Blick zu, auf den Wilhelm mit einer unbeherrschten Geste reagierte. Also führte Jinson die Stute aus der Box.
Als sie weg waren, ging Wilhelm noch einmal zu dem Fohlen und hockte sich neben es ins Stroh. »Zu schade, das andere war von Anfang an eine Pracht.«
Er nahm eine Decke, legte sie um den Kopf des Fohlens und hielt sie fest.
Das winzige Ding war schwach, und so war es schnell vorbei. Es trat einmal aus, dann noch einmal. Seine spindeldürren Beine wurden steif, zitterten und blieben schließlich reglos im Stroh liegen. Seine Flanken hoben und senkten sich nicht mehr, und sein kurzer, stoppeliger Schweif lag still und reglos wie ein Bündel Reisig da. Die kleinen gefalteten Flügel schienen zu welken und ihre Farbe zu verlieren.
Wilhelm stand auf, klopfte sich den Staub von den Händen und zog mit seinem Stiefel die Decke weg. Er schlüpfte aus dem Stall und rief: »Jinson! Schaff den Dreck weg und schick dann Slathan zu mir!«
Die letzten Tage vor den Ferien waren hart für Lark. Außer bei den Mahlzeiten und im Schlafsaal bekam sie Hester und Anabel kaum zu Gesicht. Sie musste den ganzen Tag entweder mit Schweinchen trainieren, wobei Meisterin Stark mit ihrer ausdruckslosen Stimme Anweisungen gab, oder sie musste zur Strafe, weil sie die Kontrolle über Tup verloren hatte, Rosella dabei helfen, die Ställe auszumisten. Es machte Lark nichts aus, schwer zu arbeiten. Bevor sie auf die Akademie gekommen war, hatte sie Tonnen von Mist geschaufelt. Aber es machte ihr viel aus, täglich von Neuem aus dem Sattel zu fallen, die bedauernden Blicke der Mädchen aus der dritten Klasse und die kaum verhohlene Belustigung der Zweitklässlerinnen zu spüren oder das mitleidige Murmeln einiger ihrer Klassenkameradinnen zu hören. Den triumphierenden Ausdruck auf Petra Süß’ Gesicht hasste sie geradezu. Aber sie hielt ihr Versprechen und blieb friedlich. Hoch erhobenen Hauptes erledigte sie beherzt ihre Zusatzaufgaben.
Die einzig glücklichen Momente in diesen kalten Tagen
erlebte sie, als Tup unter Anleitung von Wintersonne fliegen durfte. Lark hatte Angst gehabt, dass man es ihm verbieten würde, aber Meisterin Winter war sich ihrer Sache sicher gewesen.
»Jetzt hat er es einmal gekostet«, hatte sie streng erklärt. »Wenn wir ihn am Boden halten, wird er nur bockig. Es ist am besten, ihn so viel wie möglich in der Luft üben zu lassen. Soni und ich werden uns darum kümmern.«
»Danke, Meisterin«, hatte Lark so zurückhaltend gesagt, wie sie nur konnte.
Man sah der Pferdemeisterin an, dass sie sich von Larks demütiger Haltung nicht täuschen ließ. »Aber Larkyn«, fügte sie streng hinzu, »wenn Sie mit ihm in die Ferien gehen, dürfen Sie die Flügelhalter niemals entfernen. Haben Sie mich verstanden? Es sind nur ein paar Tage, und er wird von der Reise abgelenkt sein. Ich will damit nicht sagen, dass Ihr Fohlen absichtlich davonfliegen würde, doch wenn es kein Leittier neben sich hat, weiß man nicht, was alles passiert. Es könnte verwirrt sein oder in Schwierigkeiten geraten und nicht wissen, wie es zu Ihnen zurückfindet.«
Bei der Vorstellung, Tup zu verlieren, fröstelte Lark. »Ja, Meisterin Winter«, sagte sie schnell, und diesmal meinte sie es aufrichtig ehrlich. »Ich werde vorsichtig sein. Das verspreche ich Ihnen!«
Und so stand sie jeden Tag auf der Flugkoppel und sah zu, wie Tup hinter Wintersonne hoch in die Luft aufstieg. Jedes Mal spannte Lark die eigenen Muskeln an, als fliege sie an seiner Stelle.
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