Schule für höhere Töchter
ist nun einmal so bei denen in der Zwölften.«
»Und das dritte Mädchen?« fragte Kate und überlegte, wie um alles in der Welt sie ein Seminar leiten sollte, an dem eine sportliche Griechisch-Schülerin teilnahm und eine Bewunderin von George Kaufman, die weder mit Kenntnis der griechischen Sprache noch mit Bescheidenheit belastet war.
»Angelica Jablon«, sagte Mrs. Banister fast ein wenig träumerisch. »Ein höchst ungewöhnliches Mädchen, wenn auch nicht so leicht einzuordnen wie die anderen beiden – zumindest nicht in am Theban üblichen Begriffen. Sehen Sie, Angelica Jablon hat Überzeugungen, sie ist engagée, wie die Franzosen sagen. Sie findet die Antigone so aufregend, weil sie sie für die Geschichte unserer Zeit hält.«
»Ach du lieber Himmel. Und zweifellos identifiziert sie sich mit Antigone – bereitwillig gebe ich mein Leben für das Recht, und so weiter.«
»Finden Sie das so dumm?« sagte Mrs. Banister. »Vielleicht habe ich mich geirrt, was Sie…«
»Tut mir leid«, sagte Kate. »Ich fürchte, ich kehre immer zum falschen Zeitpunkt den Lehrmeister heraus. Wissen Sie, ich habe gelernt, Studenten, die in einem Werk die Lösung aller Rätsel des Lebens sehen, mit Vorsicht zu genießen. Andererseits kann aber auch ein Student, wenn er wirkliche Hingabe besitzt, eine derartige Entdeckung zum Ausgangspunkt echter wissenschaftlicher Arbeit machen. Wahrscheinlich ist das bei Angelica der Fall.«
»Vielleicht. Sie werden bestimmt alle Mädchen anregend finden; ich bin sicher, daß Sie sie sozusagen in Hörweite einer wissenschaftlichen Betrachtung des Themas halten – wozu ich nicht in der Lage wäre. Deshalb leite ich Schauspielgruppen und unterrichte nichts. Eine Frage des Temperaments.«
Kate war nahe daran, zu fragen, ob eines der Mädchen eine Neigung zum Verfassen von Knittelversen hatte - Ogden Nash war der Mann auf dem Gebiet und hatte nach Kates Auffassung eine Versform erfunden, deren Sinn offenbar nur er selbst begriff – aber es widerstrebte ihr merkwürdigerweise, den Spruch im Klassenzimmer zu erwähnen. Wenn ich das nicht mit den Mädchen selbst ins reine bringen kann, sollte ich lieber gleich aufgeben, dachte sie.
»Hi.« Julia Stratemayer balancierte ein Tablett auf Kates Arm zu. »Darf ich mich zu euch setzen, oder seid ihr gerade ins griechische Drama vertieft?«
»Schön, dich zu sehen«, sagte Kate.
»Ich habe dich und Anne durch das ganze Gebäude verfolgt wie ein verdammter Bluthund, aber wohin ich auch kam, ihr wart gerade wieder fort. Miss Strikeland sagte mir, daß ihr wahrscheinlich hier gelandet seid.«
»Hat sie ihren rätselhaften Besucher erwähnt?«
»Ja, hat sie. Ich fürchte, sie bauscht die Sache ein bißchen auf, denn soweit ich das beurteilen kann, könnte er nicht harmloser oder freundlicher aussehen. Aber Männer, egal wie alt, dürfen nicht in der Nähe von Schulgebäuden herumlungern; wenn er also wiederkommt, wird Miss Freund hinuntergehen und ihn ins Kreuzverhör nehmen. Warum ist der Thunfisch auf gekauften Sandwiches immer so pappig?«
Jetzt, da Julia da war, lehnte Kate sich entspannter zurück. Sie hätte gern eine Zigarette geraucht, aber im Speisesaal einer Schule durfte man natürlich nicht rauchen – noch ein Nachteil des Unterrichts am Theban, der ihr bewußt wurde.
»Wir können nachher in der Garderobe rauchen, falls du unter Entzugserscheinungen leidest«, sagte Julia, als ob sie Kates Gedanken erraten hätte. Beide waren tatsächlich enge Freundinnen, obwohl sie als Klassenkameradinnen in all den Jahren am Theban nie etwas miteinander zu tun gehabt hatten. Ob das etwas mit Kinderfreundschaften im allgemeinen zu tun hatte? Ihre engsten Freundinnen aus der Schulzeit, sogar die aus den letzten Jahren, traf sie nur noch selten, aber gern. Julia schien in ihrer Jugend an kaum etwas anderem Interesse gehabt zu haben, als an Volleyball und häuslichen Tugenden; sie hatte in ihrem Abschlußjahr an einem nationalen Hauswirtschaftswettbewerb teilgenommen, ihn darüber hinaus auch noch gewonnen; Kate fand das absolut unmöglich. Julia dagegen hielt Kate für allzu intellektuell, was stimmte, und für versnobt, was nicht stimmte. Seit ihrem vierzehnten Lebensjahr hatte Kate die große, schlanke Figur eines Mannequins, einen guten Geschmack und das nötige Geld, um sich bewundernswert schlicht zu kleiden; das hatte bei vielen Leuten den Eindruck hervorgerufen, sie sei »eigener«, lege mehr Gewicht auf absolute Korrektheit, als es
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