Schule versagt
extrem. Die Mehrheit repräsentiert den sicherheitsorientierten Beamten. Ihr Hidden Curriculum ist von anderer Art. Die Schüler merken, dass ihre so orientierten Lehrer durchaus kooperativ sein können. Man kann bei ihnen Unterricht haben, ohne besonders zu leiden. Wenn man sich nicht mit ihnen anlegt, sind sie friedlich. Ein solcher Lehrer ist für die Schüler zumindest berechenbar. Die Zusammenarbeit beschränkt sich auf den Unterricht, Persönlichkeitsentwicklung ist nicht intendiert. Die stumme Botschaft lautet: »Wir arbeiten den Unterrichtsstoff ab. Ich bestimme dieRichtung und das Tempo, so kommen wir gut miteinander aus. Wirkliches Interesse an euch habe ich nicht. Ich habe auch nichts gegen euch. Jedes Jahr kommen neue Schüler herein. Mit denen mache ich es genauso wie mit euch. Ich brauche diese Routine, die eingefahrenen Gleise. Dieses Schuljahr ist wie das vorige und wie das nächste. Macht keinen Ärger, dann wird alles gut gehen.«
Es ist selbstverständlich nicht Bestandteil der Lehrerausbildung, die Kunst des Zuhörens, des gegenseitigen Verständnisses, des Transformationsprozesses und der synergistischen Lösung zu erlernen.
Kompetenz ist nicht verhandelbar. Sie sollte selbstverständlich sein. Aber nach meinen Erfahrungen ist sie es leider nicht. Das mag sich im Grundschulbereich anders darstellen als im Leistungskurs der gymnasialen Oberstufe. Es ist eine andere Art von Kompetenz, die einen Grundschullehrer von einem Gymnasiallehrer unterscheidet. Der eine steht vor der Aufgabe, Kindern im Alter von durchschnittlich sechs Jahren das Lesen, Schreiben oder Rechnen beizubringen. Der andere analysiert mit 18- bis 2 0-Jäh rigen komplexe kausale Zusammenhänge. Ohne Kompetenz geht das bei beiden nicht.
Im Referendariat wird, wenn überhaupt, Performanz gelehrt. Wissensstrukturen im fachlichen und Patentrezepte im pädagogischen Bereich. Im besten Fall eignet man sich das in den Lehrplänen geforderte Wissen an. Viele Kollegen verfügen nach meinen Erfahrungen nicht einmal darüber. Sie sind immer eine Seite im Lehrbuch weiter als die Schüler. Die Schüler merken das natürlich; auch dieses Phänomen wird zum Teil des Hidden Curriculum. Unterschiede im qualitativen Spektrum werden wahrgenommen. Nur die Bewertung ist unterschiedlich. Leistungsschwache Schüler kommen mit inkompetenten Kollegen häufig besser aus als leistungswillige und begabte Schüler. Die eigene Schwäche wird durch die des Lehrers kompensiert, die Noten werden angehoben, und so mancher Fünferkandidat beispielsweise sieht sich auf wundersame Weise auf eine glatte Vier befördert ohne eigenes Zutun, nur durch einen Lehrerwechsel bedingt. Ich habe auch Fälle erlebt, in denen spontane Gedankenblitze mit disziplinierter Analysearbeit verwechselt wurden. Die Schüler konnten, so wie ich esauch aus Berichten meines Sohnes kannte, unvorbereitet in den Unterricht kommen. Eine Kollegin wunderte sich bei einer Notenkonferenz über die Nichtversetzung eines faulen Schülers, der, wie üblich, bereits mehrere Klassenkonferenzen bemüht, auf jeder einzelnen Besserung gelobt, sein Verhalten aber nicht geändert hatte. »Bei mir trägt der den gesamten Deutschunterricht!«, rief sie. Die eingehende Diskussion dieses Punktes ergab, wie so oft, dass es sich um oberflächliche Kommentare und Augenblickseingebungen zur »Interpretation« der jeweiligen Lektüre handelte. In inhaltlichen und methodischen Diskussionen mit Kollegen musste ich oft bemerken, wie inkompetent sie in ihrem eigenen Fach waren. Fragen wie: »Was willst du machen: Kreatives Schreiben … Was ist das denn?«, oder: »Was willst du denn da noch groß interpretieren?!«, ausgesprochen nach der rein deskriptiven Behandlung eines Textes, hörte ich nicht nur einmal. Den Vogel abgeschossen hat allerdings ein Kollege, der an einer Realschule arbeitete. Er war intensiv mit dem Umbau eines alten Hauses beschäftigt. Nach eigener Aussage hatte er deshalb die den Schülern verordnete Lektüre selber gar nicht gelesen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, worum es in dem Roman ging. Nichtsdestoweniger behandelte er den Text im Unterricht. Sicher merkte er nicht, wer den Text gelesen oder, so wie er, es gleich ganz gelassen hatte. Er ließ die Schüler herumdilettieren und schwafeln und damit war die Sache erledigt, der Rahmenplan eingehalten.
Auf der Strecke bleiben in all diesen Fällen die klugen und leistungswilligen, die »hungrigen« Schüler, die etwas lernen wollen und
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