Schurken machen Krawall
oder?“
„Nein. Leider nicht“, erwiderte Barbara bekümmert. Sie sah auf ihre Füße, und ihre Stimme klang ungewöhnlich leise und zerbrechlich. Wie aus ganz dünnem Porzellan.
„Was’n los?“, fragte ich.
„Meine Eltern wollen, dass ich auf ein Internat gehe.“
„Was? Aber wieso das denn?“, platzte es aus mir heraus, und tausend Gedanken tobten durch meinen Kopf. Meine Gedanken toben ja immer ganz gerne durch meine Gehirngänge. Wahrscheinlich weil ich einfach zu viele Gedanken habe. Das liegt an meinem fotografischen Gedächtnis. Mit dem kann ich mir nahezu alles merken, was ich sehe. Mein Kopf schießt immerzu Fotos. Nur sind meine Fotoalben längst voll und jetzt flattern die Fotos ziellos umher.
„Meine Eltern glauben, dass ich auf einem Internat bessere Noten bekomme. Weil ich nicht so abgelenkt werde“, sagte Barbara und sah weiterhin auf ihre Füße.
„Was meinst du mit ‚abgelenkt‘?“, fragte Martin.
„Von euch abgelenkt“, antwortete Barbara.
„Kapier ich nicht“, sagte ich. „Wieso lenken wir dich ab?“
„Meine Eltern glauben, dass ihr mir nicht guttut. Dass ihr meine Konzentration stört und so weiter.“
Ich schnaufte. Frechheit! Eine Frechheit war das! Schließlich war Barbara der Zappelphilipp und nicht Martin oder ich. Wenn also jemand jemanden im Unterricht störte, dann Barbara uns und nicht umgekehrt. Außerdem waren Barbaras Noten gar nicht so schlecht. Zumindest nicht im Vergleich zu meinen.
„Und wo ist das Internat?“, fragte ich.
„Weit weg“, sagte Barbara.
„Wie weit weg? Eine Viertelstunde mit dem Bus oder noch weiter?“ Ich dachte, dass man sich dann ja immerhin noch nachmittags treffen könnte.
„Eher fünf Stunden mit dem Bus.“
„Was? Aber das geht doch nicht!“, schrie ich. „Wir können doch nicht jeden Tag zehn Stunden mit dem Bus fahren, nur um uns zu sehen. Und außerdem gibt es in diesem Internat vielleicht sogar schon ein Superheldenteam!“
Dass sich Barbara einem anderen Superheldenteam anschließen könnte, machte mich ganz panisch. „Wie stellen sich deine Eltern das denn vor?“, schimpfte ich. Eltern sind manchmal aber auch so was von dämlich.
„Ich glaube, darum ging es ihren Eltern. Sie soll uns nicht mehr sehen. Weil wir einen schlechten Einfluss auf Barbara haben“, warf Martin ein.
Ich starrte Barbara an. Die sagte aber nichts. Sie sah mich nur kurz an und senkte dann wieder den Blick.
„Dann hat Martin Recht? Deine Eltern wollen nicht, dass du dich weiter mit uns triffst?“, hakte ich nach.
Barbara sagte keinen Mucks.
„Und wer passt dann in der Schule auf uns auf?“, fragte Martin besorgt. Und das aus gutem Grund. Nur der hibbeligen, supersportlichen und saustarken Barbara hatten wir es zu verdanken, nicht jede Pause von den Schurken aus der 6b (b wie böse) vermöbelt oder verarscht zu werden. Vor Barbara hatten sogar die Stärksten Respekt.
„Aber eine Sache kapiere ich nicht“, meldete sich Martin wieder zu Wort. „Wenn wir angeblich so schlecht für dich sind, wieso dürfen wir dann eine Woche hier sein?“
„Genau!“, rief ich. „Warum sind wir hier?“
„Zum Abschiednehmen“, schluchzte Barbara, die ich vorher noch nie hatte schluchzen sehen. Nicht ein einziges Mal!
Als ich bemerkte, dass sogar zwei Tränen ihre Wangen hinunterkullerten, schnürte es mir den Hals zu, und ich spürte, wie auch mir die Tränen kamen. Barbara zog die Nase hoch und schüttelte sich.
„Ich habe aber einen Plan!“, sagte sie und versuchte, zu lächeln und irgendwie optimistisch auszusehen.
„Du willst deiner Mutter unter den Rock gucken, um zu beweisen, dass sie ein Gespenst ist, und sie dann mit diesem Wissen erpressen!“, riet ich drauflos und dachte: Was für ein Spitzenplan! Keine Mutter möchte als Gespenst geoutet werden!
Martin sah mich an, als wäre ich ein Alien, der Yeti oder unser Physiklehrer Dr. Knarz mit guter Laune.
„Wie bitte?“, fragte Barbara irritiert. „Nein, das will ich nicht. Ich will meine Eltern davon überzeugen, dass ihr gut für mich seid und keinen schlechten Einfluss auf mich habt.“
„Ah, klar. So geht es natürlich auch“, sagte ich, nahm mir aber vor, die Gespenstersache lieber auf eigene Faust zu klären und zu unserem Vorteil zu nutzen. Als Trumpfkarte sozusagen.
„Und wie sollen wir das anstellen?“, fragte Martin verzweifelt.
„Wir benehmen uns einfach eine Woche wie die absoluten Traumkinder und machen keinen Blödsinn“, verkündete Barbara
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