Schusslinie
Campe war der einzige Mensch, dem er sogar die
Namen der beiden Gesprächspartner genannt hatte. Zwar nur beiläufig – aber immerhin.
Seine Schritte wurden immer langsamer. Wenn
dies alles in einem Zusammenhang mit dem Tod der beiden Männer stand, würde er sich
das nie mehr verzeihen können. Und wenn das tatsächlich so war, dann lief im Hintergrund
ein großes Ding. Was dies bedeutete, wurde ihm als Kriminalisten klar: So was konnte
äußerst gefährlich werden. Schon gar, wenn politische Kräfte dahinter standen.
36
Über Geschmack lässt sich streiten. Journalist Georg Sander blätterte
die Zeitungen durch. Den ›Goleo-Löwen‹ hatten sie gestern irgendwo vorgestellt –
das Maskottchen der Fußballweltmeisterschaft. Sander wollte sich der Sinn eines
Löwen nicht so recht erschließen. In ihm wurden lediglich Erinnerungen an die legendäre
WM von 1966 in England wach, als Deutschland im Endspiel so unglücklich durch ein
Tor verloren hatte, das keines gewesen sein sollte. Damals hatte das Maskottchen
›World-Cup-Willi‹ geheißen und war auch so etwas wie ein Löwe. Aber wer wusste das
heute schon noch? »Mir gefällt nicht, wie dürftig die Pressemitteilungen der Polizei
werden«, meinte er und sah über die aneinander gestellten und mit Papierstapeln
beladenen Schreibtische zum Redaktionsleiter hinüber. Der war gerade in ein Manuskript
eines freien Mitarbeiters vertieft und murmelte, ohne aufzublicken, etwas Zustimmendes.
Fast gleichzeitig hörte er von jenseits der raumtrennenden Aktenschränke die Stimme
seiner Kollegin Tina Winter: »Mich würd allmählich interessieren, was für eine Rolle
die Frauen spielen. Du schreibst immer nur von den Männern.«
Das klang richtig vorwurfsvoll. Sander drehte
sich mit dem Stuhl, um an einem Schrank vorbei mit der Kollegin Blickkontakt aufzunehmen.
»Ach so, die Frauenbeauftragte will auch in den Krimis mehr Gleichberechtigung«,
frotzelte er, »aber glaub mir, ich hab wirklich nichts gegen Frauen.« Sander befürchtete,
dass Tina jetzt zu ihrem riesigen Sparschwein greifen und gleich vor ihm auftauchen
würde, um ihn zu einer Geldbuße zu verdonnern. ›Macho-Geschwätz‹ war nämlich verpönt
und mit einer Zwangsspende in die ›Macho-Sau‹ verbunden. Diesmal aber beließ es
Tina bei einer bissigen Bemerkung, weshalb sich Sander wieder dem Redaktionsleiter
zuwandte und entschied: »Ich versuch mal, den Häberle an die Strippe zu kriegen.«
»Hab schon gedacht, Sie gibt’s gar nicht mehr«,
hörte er wenig später die sonore Stimme des Chef-Ermittlers mit ironischem Unterton.
»Drei Tage ohne Sander.«
»Sie haben mir auch nichts zu bieten«, gab
der Journalist vorwurfsvoll zurück. »Die Kripo tappt im Dunkeln – oder so.« Er wusste,
dass kein Kriminalist so etwas gerne hörte.
»Kleinkram – nichts als Kleinkram«, entgegnete
Häberle. »Ich hab mir von Ihren Artikeln versprochen, dass wir Hinweise kriegen
– auf irgendetwas, das uns die Zusammenhänge verständlicher macht.«
»Zusammenhänge?«, gab sich Sander bewusst irritiert,
»Zusammenhänge womit?«
»Naja, all die Herrschaften, deren Ableben
wir beklagt haben, müssen einen gemeinsamen Dreh- und Angelpunkt haben. Sonst ergibt
es keinen Sinn«, erklärte der Kriminalist geduldig, »wir wissen aber nicht mal,
ob eine reine Beziehungstat dahinter steckt oder ob es ganz andere Verbindungen
gibt, wie Ihre Kollegen von der ›Bild‹-Zeitung spekulieren.«
Sander hatte es auch gelesen. Die Tatsache,
dass Klinsmanns fußballerische Wurzeln in Geislingen liegen, hatte bereits für einige
Schlagzeilen gesorgt. Auch Sander war in einigen Artikeln darauf eingestiegen und
hatte in einem Hintergrundsbericht den Lebenslauf des Bundestrainers geschildert,
wobei dessen Zeit im Raum Göppingen-Geislingen einen breiten Raum einnahm. Als Lokaljournalist
der seriösen Heimatzeitung vermied er es jedoch, tief in Klinsmanns Jugend einzusteigen
oder gar über sein angebliches, finanzielles Engagement an diversen örtlichen Immobilien
zu spekulieren.
»Die Jungs von ›Bild‹ «, knüpfte er an Häberles
Bemerkung an, »die sorgen sich ja bereits um Klinsmann. ›Ist er der Nächste?‹, hat
gestern eine Schlagzeile gelautet.«
Der Kriminalist schwieg, was Sander vorsichtig
nachhaken ließ: »Das ist doch Schwachsinn, oder?«
»Wenn Sie mich hier und heute fragen, sag ich
Ihnen klipp und klar, dass es Schwachsinn ist. Aber glauben Sie mir, Herr Sander,
ich hab schon Pferde kotzen sehn vor der
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