Schusslinie
– bloß, weil sich diese Sonderkommission seit
Tagen im Kreis dreht. Manchmal hab ich den Eindruck, hier werden nur tausend Protokolle
verfasst«, bruddelte Bruhn weiter, »wenn Sie mich fragen, da geht’s um dubiose Geschäftemachereien
mit irgendwelchen Abzockern in der Slowakei. Und jetzt wollten ein paar ihr Geld
zurück, dann ist der Schwindel aufgeflogen – und, zack-bumm, weg sind sie.« Bruhn
redete sich wieder in Rage. »Ich kenn Sie zur Genüge, Herr Häberle«, es klang drohend,
»ich warne nur davor, wieder an politische Zusammenhänge zu glauben, an globale
Banden und so’n Zeug. Schon einmal sind Sie einem Trugschluss aufgesessen – und
haben sich eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingehandelt, zu der ich tausend Stellungnahmen
schreiben muss.« Der oberste Kripochef im Kreis Göppingen wandte sich zum Fenster.
»Und jetzt geht der Affenzirkus schon wieder los. Das Innenministerium will wissen,
was sich in diesem Provinznest hier tut, denn angeblich hat der Schily in Berlin
bereits kalte Füße.« Bruhn drehte sich ruckartig wieder um: »Demnächst scheuchen
Sie noch den Schröder auf – oder was weiß ich!«
Häberle riskierte ein Lächeln. »Keine Sorge,
der hat sowieso bald nichts mehr zu sagen.«
Bruhn schnaubte und ballte die Fäuste. Er erinnerte
Häberle an einen Löwen, der im Käfig saß. »Ersparen Sie sich diese Bemerkungen«,
zischte Bruhn, »und unterlassen Sie alles, ich wiederhole: alles, was uns Ärger
mit denen da oben bereitet. Tun Sie hier, ich betone: hier in diesem Nest, alles,
was geboten ist, aber spielen Sie sich nicht bei jedem Käs als der große Weltverbesserer
auf.« Das saß. Bruhn drehte sich um, riss die Tür auf und verschwand auf dem Flur,
ohne die Kollegen, die er dort traf, auch nur eines Blickes zu würdigen. Sie wichen
ihm respektvoll aus, um nicht überrannt zu werden. Linkohr hatte bemerkt, in welcher
Laune der glänzende Glatzkopf davon gestürmt war.
»Was ist’n jetzt los?«, fragte der junge Kriminalist,
als er vorsichtig in Häberles Büro blickte.
»Cholerischer Anfall«, erwiderte Häberle grinsend.
»Der Ziegler hat ihn herzitiert und Druck von oben gibt’s auch.«
»Von oben?«, staunte Linkohr.
»Innenministerium in Stuttgart und der Herr
Bundesinnenminister Schily.«
»Schily?«
»Angeblich, ja. Bruhn macht in die Hose. Aber
ich sag Ihnen eins: wir nicht.« Häberles Stimme wirkte fest und zu allem entschlossen.
»Wenn da jemandem in Berlin das Hemd flattert, dann sind wir auf der richtigen Spur,
glauben Sie mir.«
Linkohr überlegte. »Wenn ich mir das so überlege … wir haben doch in Berlin, was den Sport betrifft,
einen kompetenten Mann sitzen.«
Häberle verstand nicht.
»Naja«, erklärte Linkohr, »unseren Bundestagsabgeordneten
Klaus Riegert – ein ehemaliger Kollege von Ihnen.«
Häberle hob den rechten Daumen. »Super, Kollege.
Versuchen Sie, ihn zu kriegen.«
37
Harry Obermayer kratzte sich an der Stirnglatze. Er war zur Freude
seiner Frau nach mehrtägiger Geschäftsreise rechtzeitig zum Wochenende heimgekommen
und hatte erst mal ausgeschlafen. An diesem Samstagmorgen blätterte er in seinem
kleinen Büro die lokalen und regionalen Zeitungen der vergangenen Tage durch. Insbesondere
interessierten ihn die zahlreichen Artikel, die über Lanski, Heimerle und Funke
erschienen waren. Während sich das Lokalblatt offenbar an die reinen Fakten hielt
und sich nicht an den Spekulationen beteiligte, übertrafen sich die überregionalen
Medien mit vielerlei Mutmaßungen. Der SC Geislingen wurde überall mit Klinsmann
in Verbindung gebracht – und vielfach auch das legendäre Spiel gegen den HSV in
Erinnerung gerufen. Je mehr Obermayer darüber nachdachte, desto unguter fühlte er
sich. Er hatte einen guten Namen zu verlieren, hatte nur seine Dienste als Berater
und Kontaktmann zur Verfügung gestellt, aber jetzt schien die Sache immer weitere
Kreise zu ziehen. Und seit die politische Lage in Berlin von Tag zu Tag instabiler
wurde, war die Zukunft des Vorhabens ohnehin fraglicher geworden. Alle Zeichen standen
auf Veränderung. Die Republik schien sich auf einen Befreiungsschlag vorzubereiten.
Dass allein schon die Ankündigung von Bundeskanzler Schröder, er werde in zwei Wochen
die Vertrauensfrage stellen, mit Erleichterung aufgenommen wurde, bewies der Aufschwung
an der Börse. Obermayer, ein politisch korrekter Mann, kannte die sensiblen Zeichen.
Und sein Gespür dafür hatte ihn nie getrogen, selbst damals nicht, als er
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