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Schusslinie

Schusslinie

Titel: Schusslinie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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Confederations-Cups,
Deutschland-Australien, zu sehen, hatte sie nämlich einen Außentermin, wie sie es
zu formulieren pflegte. Nullenbruch hatte ihr für solche Zwecke seine Jagdhütte
zur Verfügung gestellt, die sich idyllisch am bewaldeten Abhang der Schwäbischen
Alb befand und nur über einen verwachsenen Forstweg zu erreichen war, der von einem
kleinen Asphaltsträßchen abbog. Die Kunden, die diese Umgebung vorzogen, ließen
ihre Fahrzeuge auf einem Wanderparkplatz zurück und wurden von Anna mitgenommen,
weil sie als Nullenbruchs Beauftragte die lediglich für Anlieger freie Zufahrt benutzen
durfte.
    Die wenigen Männer, die dieses Ambiente liebten
und dafür tiefer in die Tasche greifen mussten, hatten gute Gründe, nicht in ihre
kleine Wohnung in dem Mietsblock zu kommen. Sie wollten nicht gesehen werden.
    Hier oben in der Jagdhütte, bei Kerzen- und
Petroleumlicht, bei Musik aus einem Akku betriebenen CD-Spieler und sündhaft teurem
Sekt, der im Keller herrlich kühl blieb, da ließen sich die Herren ungestört verwöhnen.
Seit Nullenbruch verschwunden war, hatte Anna den Kunden bereits am Telefon dezent
klar gemacht, dass die Entlohnung derzeit bar zu erfolgen habe. Ob sie nämlich jemals
wieder für ihre nächtlichen Dienste an Nullenbruchs Geschäftsfreunden aus der Firmenkasse
bezahlt werden würde, erschien ihr immer fragwürdiger. Sie musste sich langsam selbstständig
machen.
    Als sie jetzt einigermaßen ausgelaugt durch
die sternenklare Sommernacht bei zunehmendem Halbmond heimfuhr, kamen auf SWR 3
die Mitternachts-Nachrichten. Deutschland hatte das Spiel 4:3 gewonnen. Aber das
interessierte sie überhaupt nicht. Überhaupt hasste sie Fußball. Ein brutaler Sport
– in jeder Beziehung.
    Sie parkte ihr Auto in der Tiefgarage, dessen
Rollgittertor sich ferngesteuert öffnen und wieder schließen ließ. Leuchtstoffröhren
flammten auf, als ihr Wagen an gut zwei Dutzend anderen vorbei in die vorgesehene
Nische rollte.
    Anna nahm ihre große Sporttasche, in der sie
die leere Sektflasche und einige Utensilien verstaut hatte, die den Vorlieben des
Kunden entsprachen, und ging mit wippendem Röckchen zu der Stahltür, die ins Treppenhaus
führte. Mit dem Aufzug erreichte sie den langen, unpersönlichen Flur, von dem ihre
Wohnung abzweigte.
    Anna war müde. Sie wollte sich noch schnell
unter die Dusche stellen und dann schlafen. Seit ihre nächtliche Tätigkeit immer
größere Ausmaße annahm, weil die Männer offenbar nicht genug von ihr kriegen konnten,
spürte sie zunehmend, wie ihre Kräfte nachließen. Andererseits musste sie im Geschäft
vor Ute Siller die volle Leistung bringen. Denn vorläufig konnte sie es sich nicht
leisten, dass diese herrschsüchtige Frau ihr alles vermasselte. Also musste sie
es hinnehmen, tagsüber wie eine Sklavin behandelt zu werden. Dafür war sie die Königin
der Nacht, stellte sie insgeheim zufrieden und selbstbewusst fest. Doch dann traf
es sie wie ein Donnerschlag: Bereits beim Näher kommen erkannte sie, dass die Wohnungstür
einen Spalt weit offen stand. Anna erstarrte, blieb stehen und stellte mit weichen
Knien die Sporttasche ab. Sie lauschte. Doch es drang kein Laut zu ihr her. Sie
behielt den nachtschwarzen Spalt im Auge, der sich zwischen Tür und Rahmen auftat.
Nur ein paar Zentimeter. Aber dahinter konnte sich Schreckliches verbergen – oder
jemand auf sie lauern. Sollte sie die Wohnungsnachbarn aus dem Schlaf klingeln?
Die Polizei rufen? Schreien? Nach panischen Sekunden fasste Anna einen mutigen Entschluss.
Sie beugte sich zu ihrer Sporttasche, ließ so leise es ging den Reißverschluss aufgleiten
und griff zum Hals der Sektflasche. Dann näherte sich die junge Frau der Tür, lauschte
erneut, umklammerte die Flasche, wild entschlossen, sie jedem Angreifer sofort über
den Schädel zu schlagen. Anna trat leicht gegen die Tür, stieß sie nach innen und
griff mit der linken Hand zum Lichtschalter, sodass im Flur die rötliche Beleuchtung
anging.
    Das Chaos machte sich breit. Ein erster Blick
reichte, um das Ausmaß der Zerstörung zu erkennen: Die Schubladen der kleinen Kieferkommode,
die neben der Garderobe stand, lagen ausgeleert auf dem gefliesten Boden. Der war
übersät mit Parfümerie-Artikeln, Schreibzeug, Kämmen und Bürsten. Fläschchen waren
zersplittert, ihr Inhalt, sofern er flüssig war, bildete kleine Pfützen.
    Anna blieb fassungslos stehen, blickte sich
um, sah die offen stehenden Türen zum Bad und zum Schlafzimmer und wagte es

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