Schusslinie
Ort blieb. Oberste Aufgabe war es, Lanskis
Aktenkoffer zu finden. Je mehr Zeit verstrich – und nun lag der Mord fast drei Wochen
schon zurück –, desto nervöser wurde der Ministerialdirektor. Doch bisher waren
sämtliche Versuche Liebensteins, das Umfeld Lanskis und seiner Freunde unter die
Lupe zu nehmen, kläglich gescheitert. Es schien so, als hätten sich alle abgeschottet.
Inwieweit sich dieser Abgeordnete inzwischen eingemischt hatte, war ihm auch noch
ein Rätsel. Liebensteins einzige Beruhigung war, dass er zumindest in einem Punkt
den offiziellen Ermittlern ein Stück voraus war. Er wusste nämlich um die Kontakte,
die es zwischen Nullenbruch und der Organisationsebene in Berlin gab.
Er ließ sich in den Sessel seines Hotelzimmers
fallen und tippte die Nummer Beierleins in sein Handy ein. Wenig später meldete
sich der Stuttgarter Sportfunktionär. »Endlich«, hörte er seine Stimme, »die Zeit
verstreicht und alle werden nervös. Hast du Neuigkeiten?«
»Leider nein. Nullenbruch ist weg – aber es
scheint keinen wirklich zu stören.«
»Der Koffer«, kam es aufgeregt zurück, »vergiss
Nullenbruch. Der Koffer ist uns wichtig. Ich sag dir, wenn da etwas auftaucht … ja, auftaucht an der falschen Stelle, dann
sind wir erledigt.«
Liebenstein sagte nichts.
»Was ist mit diesem Riegert. Ich hab versucht,
ihn zu beschwichtigen, hab aber keine Ahnung, ob er’s akzeptiert hat, oder ob er
weiter rumschnüffelt.«
»Er ist noch hier – so viel ist sicher. Er
wird aber auch bleiben, schätz ich«, erklärte Liebenstein, »er hat am Montag seinen
Kreisparteitag oder wie das heißt. Nominierungsversammlung für seine Kandidatur
im September.«
Beierlein schien dies wenig zu interessieren.
»Und wenn wir völlig auf dem falschen Dampfer sind?«, fragte er unerwartet, »wenn
Nullenbruch abgehauen ist?« Nach kurzer Pause fügte er hinzu: »Mit Lanskis Koffer?«
»Du meinst, er könnte Lanski …?«
»Man muss jede Möglichkeit in Betracht ziehen,
jede, verstehst du?«
Kurzes Schweigen. Dann wurde Beierleins Stimme
leiser und bedrohlicher: »Wenn nicht bald etwas geschieht, dann bricht alles auseinander.
Die ersten Sponsoren sind bereits abgesprungen. Und was das Schlimmste ist – sogar
die Zeitungen haben schon drüber berichtet.«
»Sie haben geschrieben, es gäbe Querelen zwischen
diesem Rogowski und dem Porsche-Chef.«
»Gott sei Dank hat man’s noch auf die persönliche
Schiene beschränkt«, meinte Beierlein erleichtert. Dieser Rogowski, einst Industriepräsident
gewesen, hatte angeblich in einem Interview den schwäbischen Unternehmer beleidigt,
worauf dieser seine Zusage für eine Millionenspende zurückgenommen hatte. Glücklicherweise
wussten beide nichts von der Organisation, die in Berlin darauf hoffte, an solcher
Freigiebigkeit zu konzipieren. »Es war von Anfang an sinnvoll, die ganz großen Herren
herauszuhalten«, beruhigte sich Beierlein offensichtlich selbst, um sofort aber
seine Sorgen loszuwerden. »Weißt du, Tobias, wenn es nicht gelingt, den Nullenbruch
ausfindig zu machen, werden wir uns ernsthafte Gedanken machen müssen.« Mehr wollte
er dazu nicht sagen. »Inzwischen scheinen nämlich einige Herren bei uns das Unwesen
zu treiben, die mir ganz und gar nicht gefallen.«
Liebenstein schluckte. Sein Blick war starr
und auf das gegenüberliegende Haus gerichtet. »Einige Herren?«, wiederholte er ungläubig.
»Es gibt offenbar Erkenntnisse, dass Slowaken
hier aufgetaucht sind.«
»Wer sagt das?«
»Gut unterrichtete Quellen, glaub’ mir. Und
deshalb ist Vorsicht geboten. Äußerste Vorsicht. Wenn es nämlich so sein sollte,
wie ich befürchte, dann ist mit dem Schlimmsten zu rechnen.«
Noch vor dem Wochenende konnte Linkohr seinem Chef ein Erfolgserlebnis
präsentieren. Sie hatten gestern den zuständigen Amtsrichter Reinhard Schwenger
davon überzeugt, dass es notwendig sein würde, diese Anna etwas genauer zu überprüfen.
Häberle hatte ein direktes Vorgehen vermeiden wollen, um keine schlafenden Hunde
zu wecken. Stattdessen war es ihm gelungen, die Gesprächsverbindungen ihres Handys
und ihres Festnetzanschlusses ermitteln zu lassen.
Nachforschungen bei den Netzanbietern ergaben,
dass offenbar kein weiteres Handy auf Anna angemeldet war. Aber dies hatte natürlich
nichts zu bedeuten, wusste Häberle aus Erfahrung. In derlei Kreisen bediente man
sich auch der Handys von Freunden oder Zuhältern, um keine eigenen Spuren zu hinterlassen.
»Wir haben’s«, stellte
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