Schusslinie
»alles deutet
darauf hin. Der Nullenbruch hat da unten ein Ding eingefädelt, das ihm über den
Kopf gewachsen ist.« Die Straße stieg jetzt an und näherte sich dem Örtchen Schlat,
aus dem sich ein cleverer Gastwirt mit der französischen Champagner-Lobby angelegt
hatte, weil er aus einer uralten, schwäbischen Champagner-Bratbirne einen köstlichen
Schaumwein produziert und dabei auch den Namen ›Champagner‹ benutzt hatte. Häberle
hatte von dem Streit und den Gerichtsverhandlungen in der Zeitung gelesen.
»Wahrscheinlich haben Sie Recht«, meinte Linkohr,
»bei allem, was Striebel und Kromer berichten, sieht es tatsächlich so aus.«
»Und unsere ›Vorzimmerdame‹ ist auch ein Kind
der Slowakei. Ist Ihnen was aufgefallen?«
»Aufgefallen?«
»Ja, die Siller sagte, sie habe zwei Handys
– haben Sie’s nicht gehört?«
Linkohr fiel plötzlich ein: Ein zweites Handy!
War’s das von Lanski? War sie die Frauenstimme, als Striebel angerufen hatte?
»Die Sache stinkt, Herr Kollege«, resümierte
Häberle, als sie das Steilstück zum Gairenbuckel erklommen.
41
Riegert zitterte. Der junge Mann, der an der Ampel blitzartig eingestiegen
war, grinste. »Keine Sorge«, sagte er mit slowakischem Akzent, »Ihnen geschieht
nichts. Fahren Sie ruhig weiter. Ich möchte mich nur mit Ihnen unterhalten.« Er
hatte die Waffe wieder in sein helles Freizeitjackett gesteckt. Wenn er sich leicht
bückte, konnte er im rechten Außenspiegel den schwarzen BMW sehen, der ihnen folgte.
Die Straße führte über freie Landschaft, kein Ort in Sicht.
»Was wollen Sie von mir?«, fragte der Abgeordnete
verärgert und sah sich den Mann auf dem Beifahrersitz von der Seite an. Er versuchte,
sich das Gesicht einzuprägen. Helle Haut, die Augen schienen grau oder blau zu sein.
Das Alter schätzte Riegert auf 25 bis 30 Jahre. Er würde später mithilfe eines Phantombild-Zeichners
ein Bild entwerfen können.
Das Handy am Armaturenbrett klingelte. Vermutlich
rief die Polizei-Notrufzentrale zurück, dachte Riegert. Der Mann auf dem Beifahrersitz
nahm das Gerät aus der Halterung und schaltete es ganz ab. Erst jetzt, als er es
auf die Ablage warf, bemerkte Riegert, dass der Fremde Aidshandschuhe trug. Er grinste
den verängstigten Fahrer an. »Wir wollen nichts weiter, als Sie von Dummheiten abhalten«,
erklärte der Unbekannte. »Sie sollten aufhören zu schnüffeln, um es unmissverständlich
zu sagen. Begreifen Sie das?« Riegert konnte sich nur noch schwer auf die Straße
konzentrieren. »Ich versteh nicht …«
»Sie verstehen sehr gut«, zischte der Beifahrer
und sein Akzent klang hart, »Sie mischen sich in Dinge ein, die nichts mit Politik
zu tun haben. Gar nichts.« Er lehnte sich mit der rechten Schulter lässig gegen
die Beifahrertür. »Es hat schon einigen Schnüfflern nicht gut getan, ihre dreckige
Fresse in Dinge zu stecken, die sie einen verdammten Dreck angehen.«
Riegert zuckte zusammen. Er wurde langsamer.
»Los, penn nicht ein«, trieb ihn der Mann an.
Der Politiker drückte das Gaspedal fester. Tausend Gedanken jagten durch seinen
Kopf.
»Also«, machte der ungebetene Fahrgast weiter
und grinste, »wenn Ihnen an Familie und Politik viel gelegen ist, dann vergessen
Sie alles.« Deutlich lauter fügte er hinzu: »Haben Sie das kapiert?«
»Ich verstehe nicht, wo ich Ihnen gefährlich
werden könnte.«
»Das ist scheißegal«, meinte der Unbekannte
selbstgefällig, »scheißegal. Sie halten sich aus der Sache mit Nullenbruch raus
– und fertig. Wenn nicht, dann geht’s Ihnen wie den anderen. Und vergessen Sie nicht:
Wir sind überall.«
Riegert schluckte.
Es vergingen endlose Minuten, während derer
die beiden Männer schweigend nebeneinander saßen und der Audi endlich wieder eine
Ortschaft erreichte – Bavendorf.
»Lassen Sie mich da vorne raus«, knurrte der
Fremde und deutete auf eine Bushaltebucht, an der sich keine Personen aufhielten.
Riegert nahm es erleichtert zur Kenntnis, setzte den Blinker und hielt an. Der nachfolgende
BMW tat es auch.
»Und vergessen Sie nicht, was ich Ihnen gesagt
habe. Schnauze halten und alles vergessen«, wiederholte der Mann, während er die
Tür öffnete. »Sonst sehen wir uns schneller wieder, als Ihnen lieb ist.«
42
Der Sommer kehrte allmählich zurück. Anna nahm’s mit Freude zur Kenntnis,
denn ihre Kundschaft liebte an ihr luftige Kleidung. An diesem Mittwochabend, als
die Fußballfans vor dem Bildschirm saßen, um das Eröffnungsspiel des
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