Schusslinie
Schluck. Diese Erfrischung tat gut. Während er
seinen Blick erneut über die tanzenden Paare schweifen ließ, kam ihm eine Idee.
Wenn dieses ›Slovan‹, wie sowohl Striebel und Kromer, als auch Meckenbach bestätigt
hatten, seit Jahren Treffpunkt der meisten Geschäftsleute war, die in der Slowakei
investieren wollten, dann musste auch der Barkeeper einiges davon mitgekriegt haben.
Häberle sprang von seinem Hocker, schob ihn
zurück und setzte sich jetzt mit dem Gesicht zu der langen Spiegelwand, wo vier
Reihen unterschiedlichste Getränkeflaschen standen. Der Barkeeper, ein Mann mittleren
Alters, korrekt mit schwarzem Jackett und schwarzer Hose bekleidet, beherrschte
offenbar seinen Job. Die Handbewegungen waren flink, er zog Korken aus Flaschen,
mixte Cocktails und ließ sich von einem jungen Mädchen assistieren, das auch die
Gäste an den Sitzplätzen bediente.
Häberle wartete eine günstige Gelegenheit ab
und gab ihm dann mit einem kurzen Wink zu verstehen, dass er mit ihm reden wolle.
»Sprechen Sie Deutsch?«, fragte der Kommissar.
»Bisschen«, antwortete der Slowake freundlich. »Ich suche einen Freund«, log der
Kommissar wieder, nahm einen kräftigen Schluck Bier und wischte sich den Schaum
mit dem Handrücken vom Mund. »Jano Blamocci. Blamocci – verstehen Sie?«
»Blamocci«, wiederholte der Barkeeper mit gewisser
Verwunderung. Für einen Moment schaute er dem Kommissar in die Augen. »Sie sind
ein Freund von ihm?«
»Ja, ein sehr guter Freund. Wir wollten uns
hier treffen. Er war wohl öfters hier«, erwiderte Häberle und kam mit seinem hünenhaften
Oberkörper so weit es ging über den Tresen, um nicht allzu laut sprechen zu müssen.
»Blamocci«, sagte der Barkeeper nochmal, »sind
Sie ein … Geschäftsfreund?«
Häberle nickte heftig und sah den Mann treuherzig
an. Der wusste etwas, da war er sich ganz sicher. Vielleicht sollte er ihm ein Scheinchen
zustecken? Er griff in die Hosentasche und legte eine zerknitterte Banknote neben
sein Bierglas, als wolle er die Zeche bezahlen. Der Barkeeper zögerte, dann huschte
ein Lächeln über sein Gesicht und er nahm den Schein. Er ließ ihn unauffällig in
eine Jackentasche gleiten.
»Weiß nicht, wo er ist«, fuhr er fort und ließ
den Kommissar nicht aus den Augen.
»Was heißt das … ist er … verschwunden?« Noch einmal griff der Ermittler schweigend in
seine Hosentasche und fingerte einen weiteren Geldschein heraus. Der Barkeeper bekam
leuchtende Augen, sah sich nach allen Seiten um, doch keiner der anderen Gäste,
auch das Mädchen nicht, nahm sein Gespräch mit dem Deutschen zur Kenntnis.
»Ich schreib Ihnen eine Adresse auf. Treffen
dort Freunde von ihm.« Der Mann griff zu einem Kugelschreiber und notierte auf einem
Bierdeckel Straße und Hausnummer. »Aber erst Montagabend, verstehn Sie? Montagabend,
20 Uhr.«
Häberle steckte den Bierdeckel in die rechte
Hosentasche. Montagabend. Das gefiel ihm nicht. Heute war schließlich erst Freitag.
»Wer sind diese Leute?«, wollte er wissen.
Das Gesicht des Barkeepers versteinerte sich.
»Keine Name, nix«, sagte er gerade noch so laut, dass die Discomusik übertönt wurde.
»Gebe Ihnen einen Rat«, er kam ganz dicht an Häberles rechtes Ohr heran: »Vorsichtig
sein. Sehr vorsichtig sein. Und nicht sagen, woher Adresse. Leute gefährlich. Sehr
gefährlich.«
Häberle nickte freundlich.
51
Das Wetter war bereits wieder kühler geworden. Der Himmel über Göppingen
wirkte trist, die Wolken hingen tief. Liebenstein wäre am liebsten längst nach Berlin
zurückgeflogen, doch Gangolf bestand darauf, dass er so lange in Süddeutschland
blieb, bis »diese Affäre«, wie es der Ministerialdirektor auszudrücken pflegte,
beigelegt war. »Ich will, dass endlich Ruhe einkehrt, verdammt noch mal«, hatte
er sich am Telefon ungehalten gezeigt. Liebenstein musste den Kontakt zu den Mitgliedern
der Organisation halten, hatte in vielen Gesprächen inzwischen versucht, sie alle
zu beruhigen, was aber nicht einfach war, seit einige ganz Große abgesprungen waren.
Alle zwei Tage bestand Gangolf auf einen Lagebericht,
auch an den Wochenenden. Von seinem Zimmer im Hotel ›Hohenstaufen‹ aus wählte Liebenstein
die Berliner Nummer. Sein Chef gab sich einsilbig.
»Leider nichts Neues«, gestand Liebenstein.
»Mann, wie stellen Sie sich das vor«, hörte
er die ungeduldige Stimme im Hörer, »ist Ihnen klar, dass die Sache seit fünf Wochen
gärt? Fünf Wochen! Und jetzt erfahr ich, dass dieser
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