Schusslinie
Kommissar, dieser … Sie wissen schon, wie der heißt … dass es dem tatsächlich gelungen ist, in
Košice rumzuschnüffeln.«
Liebenstein holte tief Luft, schloss die Augen
und nickte. »Ich hatte gehofft, Sie würden …«
»Gehofft!«, schepperte Gangolfs Stimme im Hörer,
»hätte ich den Schily anrufen sollen und sagen, he, Otto, pfeif mir diesen karrieresüchtigen
Kommissar zurück?«
Liebenstein staunte. So hatte er seinen Chef
noch nie erlebt.
»Wenn wir nicht bald diesen Koffer finden«,
machte Gangolf weiter, »dann müssen wir uns was anderes überlegen.« Sein Schweigen
deutete jetzt jedoch eher darauf hin, dass er auch nicht wusste, was. Es schien
so, als hoffte er auf einen Vorschlag. »Ich hab große Sorge, Herr Liebenstein, ganz
große Sorge, dass uns die Sache entgleitet.«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Hören Sie denn keine Nachrichten?«, kam es
vorwurfsvoll zurück, »die Sache in Chile?«
Liebenstein war mit einem Mal wieder voll konzentriert.
»Nein, wieso?«
»Ein Mord, ein kaltblütiger Mord. Sie haben
dort einen Schiedsrichter umgebracht.«
Der Kapitán der Kriminalpolizei von Košice war ein großer, schlanker,
aber kräftiger Mann um die 40 und ein Typ, der es mit jedem US-Sheriff hätte aufnehmen
können, dachte Häberle, als er vor dem Hotel ›Slovan‹ den Hünen musterte. Sie begrüßten
sich mit einem ›Hallo‹, drückten sich die Hände und kamen überein, in der Vormittagssonne
zum Dienstgebäude zu fahren.
Kapitán Jozef Spišiak steuerte seinen privaten
Skoda gemächlich durch einige Seitenstraßen und versuchte sich unterwegs als Stadtführer
– allerdings auf Englisch, weshalb Häberle so gut wie nichts verstand. Er befürchtete
bereits, dass es ihm beim anschließenden, dienstlichen Gespräch ähnlich ergehen
könnte.
An diesem Samstagvormittag herrschte in den
Geschäftsstraßen starker Verkehr. Häberle erkannte im Vorbeifahren die Filialen
nahezu aller westlichen Handelsketten – den bekannten Kaffeeröster ebenso wie den
Sportartikelhersteller aus dem Schwäbischen.
Das Büro des Kapitáns war eher spärlich eingerichtet,
dafür aber erweckten die Computer den Eindruck, neueste Modelle zu sein. Spišiak
bot seinem Gast einen Platz an einem kleinen Besprechungstisch an und besorgte aus
einem Automaten zwei Tassen Kaffee. Unterdessen ließ Häberle seinen Blick über die
Aktenschränke streichen, die auch in deutschen Büros hätten stehen können. Auf zwei
großen Fahndungsplakaten prangten mehrere Porträtfotos. Auch wenn der Text für ihn
unlesbar war, so ließ alles darauf schließen, dass es sich wohl um gesuchte Terroristen
handelte.
Häberle nahm erfreut zur Kenntnis, dass der
Kapitán nun doch ein verständliches Englisch sprach. Vorhin im Auto hatte er wohl
viel zu schnell geredet und außerdem bei seinen Erklärungen zu den einzelnen Gebäuden
und Plätzen vermutlich jede Menge Eigennamen benutzt.
Nachdem sie sich mit freundlichen Worten und
Erzählungen über die polizeiliche Arbeit in ihren jeweiligen Ländern beschnuppert
hatten, schien das Eis gebrochen. Der Kapitán hatte seine langen Beine inzwischen
ausgestreckt und sich auf dem unbequemen Stuhl zurück gelehnt, als er darlegte,
dass ihre Zusammenarbeit halboffizieller Natur sei. Wenn der Kommissar es richtig
verstand, dann war wohl der oberste Polizei-Chef Košices von einer direkten Unterstützung
des Deutschen nicht sehr angetan gewesen und hatte darauf gedrängt, nur ein offizielles
Ersuchen zu bearbeiten. Letztlich jedoch habe man sich durchgerungen, den Kollegen
aus Deutschland auf unterster Ebene zu empfangen. Allerdings dürfe Häberle auf slowakischem
Staatsgebiet nicht polizeirechtlich auftreten. Dies aber war für den erfahrenen
Ermittler keine Überraschung. »Danke«, entgegnete Häberle und begann, so gut er
es auf Englisch vermochte, den Grund seiner Reise und die Vorgeschichte zu erzählen.
»Mich würde interessieren«, kam er schließlich zur Sache, »erstens, wo ist Jano
Blamocci und welche Rolle spielt er in dieser Stadt? Zweitens, gibt es Erkenntnisse
über den Aufenthalt des Herrn Matthias Nullenbruch? Drittens, ist Ihnen etwas von
Anlagebetrügereien bekannt? Und viertens, gab es in letzter Zeit Betrügereien im
Zusammenhang mit dem Sport?«
Spišiak kratzte sich im vollen, blonden Haar.
»A lot of questions«, stellte er fest – eine ganze Menge Fragen. Er werde aber versuchen,
sie zu beantworten, zumal er ja bereits telefonisch über das Interesse der
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