Schusslinie
Stock. In dieser Reihenfolge betraten die Männer auch den Raum, erklommen über
eine seitliche Treppe die Bühne und nahmen Platz. Scheinwerfer wurden eingeschaltet,
die Gespräche im Saal verstummten. Kameras waren auf Sendung.
Pressesprecher Stock rückte eines der Mikrofone
näher zu sich her, begrüßte die Medienvertreter und kam auf die Ereignisse der vergangenen
Stunden zu sprechen. Dann stellte er die beiden anderen Herren vor und erteilte
dem Oberstaatsanwalt das Wort. Der wies darauf hin, dass Mutter Klinsmann die Ermittlungen
in Gang gesetzt habe, dass ihr Sohn wohl mit Freunden in der früheren Stammkneipe
gewesen und danach spurlos verschwunden sei – »irgendwo in dieser Stadt«, erklärte
Ziegler, »wir gehen davon aus, dass es auf dem Weg von diesem Lokal zu einem Parkdeck
geschehen ist, auf dem wir sein Auto gefunden haben.«
Der Staatsanwalt gab das Wort an Bruhn weiter.
»Wir verfolgen eine Vielzahl von Spuren«, begann dieser und verfiel dabei in die
üblichen Standardformulierungen, die keinen Journalisten interessierten. »Allerdings
fehlen uns bislang jegliche Erkenntnisse, auf welche Weise der Bundestrainer verschwunden
ist. Wir gehen aber nach Lage der Dinge davon aus, dass dies gewaltsam geschehen
ist.« Er blickte in die Kameras, von denen er vermutete, dass sie sein Statement
live in die Republik hinaus übertrugen. »Es hat, das wissen Sie, vor rund fünf Wochen
in dieser Region drei schwere Verbrechen gegeben, bei denen insgesamt vier Menschen
zu Tode gekommen sind. Ob es Zusammenhänge mit diesem Fall hier gibt, wird derzeit
geprüft. Unbestritten ist, dass alle diese Opfer in irgendeiner Weise Kontakte zu
Klinsmann gepflegt hatten. Allerdings schon vor langer Zeit.«
Ein Raunen ging durch die Zuhörerschar. Nachdem
Bruhn fertig war, wurden die Männer auf der Bühne auch sogleich mit Fragen bombardiert.
Insbesondere erschienen den Journalisten die vorausgegangenen Verbrechen von Interesse
zu sein. Sander, der irgendwo in der dritten Reihe saß, staunte, wie hektisch die
Kollegen zu Werke gingen und versuchten, Bruhn und dem Staatsanwalt Mutmaßungen
in den Mund zu legen, für die es wirklich keinerlei Grundlage gab. »Herr Staatsanwalt«,
hallte eine Frauenstimme von hinten, »glauben Sie, Klinsmann ist schon tot?«
Ziegler winkte gelassen ab. »Erlauben Sie mir,
dass ich mich zu keinen Spekulationen hinreißen lasse.«
»Könnte dies mit der WM zu tun haben – oder
mit dem Confederations-Cup?«, war eine andere Stimme zu hören, doch die Männer auf
dem Podium nahmen die Frage nicht zur Kenntnis. Ein anderer Mann hatte sich seitlich
an die Wand gelehnt. »Erlauben Sie eine Frage«, meldete er sich mit leichtem Berliner
Akzent zu Wort, »halten sie es für denkbar, dass Herr Klinsmann das Opfer einer
international agierenden Bande geworden sein könnte?«
Das Stimmengewirr im Saal wurde leiser. Offenbar
wartete man gespannt auf eine Antwort. Ziegler und Stock sahen sich an, doch dann
erklärte Bruhn, kurz und knapp: »Möglich ist alles.«
58
Spätestens nach der Tagesschau war Klinsmanns Verschwinden bundesweit
das wichtigste Gesprächsthema. Die ARD hatte den Bericht gesendet und auch eine
Landkarte eingeblendet, um den Ort des Geschehens geografisch darzustellen.
Es folgten Ausschnitte von der Pressekonferenz
und einige Szenen, als Klinsmann bei den Spielen der vergangenen Tage jubiliert
hatte. Im Anschluss an die Tagesschau würde es eine 15-minütige Sondersendung geben.
Auch die anderen Fernsehstationen hatten ihre Programme geändert, um auf verschiedenste
Art und Weise den Bundestrainer zu würdigen und sich mangels konkreter Informationen
in wilde Spekulationen zu flüchten. Doch obwohl mehrfach die Telefonnummer der Sonderkommission
eingeblendet worden war, meldete sich im Laufe des Abends kein einziger Hinweisgeber.
Niemand in der ganzen Republik, so schien es, hatte irgendetwas gehört oder gesehen,
was im Zusammenhang mit dem Verschwinden stehen könnte. Kurz vor Mitternacht erschien
Kommissar August Häberle, von den Ereignissen der vergangenen Tage sichtlich gezeichnet,
in den Räumen der Sonderkommission. Meckenbach hatte ihn vom Stuttgarter Flughafen
nach Göppingen gebracht, von wo aus er mit dem Dienstwagen gleich weiter nach Geislingen
gefahren war. Häberle fühlte sich matt und schlapp, verschwitzt und gestresst. Er
begrüßte die gleichfalls müden Kollegen, unter denen sich auch noch Linkohr befand.
Bruhn hingegen war nach der Tagesschau
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