Schusslinie
heimgefahren.
Der Chef-Ermittler ließ sich umfassend informieren
und berichtete seinerseits, was sich in Košice zugetragen hatte – vor allem aber,
wie er bedroht worden war.
»Wir müssen uns auf den Osten konzentrieren«,
entschied er, »wir brauchen ein offizielles Hilfe-Ersuchen für die Slowakei, auch
für Tschechien und Ungarn. Ich hab das ungute Gefühl, dass Klinsmann dorthin geschafft
werden soll.«
Ein Beamter, der sich erschöpft auf einen Stuhl
hatte fallen lassen, stimmte zu: »Die Sache mit Nullenbruch stinkt.«
»Wir müssen all unsere Verdächtigen noch mal
durch die Mangel drehen«, entschied der Kommissar, »alle – und zwar eine Spur schärfer.
Wir werden Nullenbruchs Geschäftsräume durchsuchen.« Er wandte sich an Linkohr:
»Sie, Kollege, sollten gleich morgen früh das Nötige veranlassen.« Zwei Dutzend
Kriminalisten standen dicht gedrängt in dem neonhellen Lehrsaal. Bruhn hatte das
gesamte Personal seiner Dienststelle nach Geislingen beordert und für die Sonderkommission
einen Schichtdienst rund um die Uhr eingerichtet. Unter dem riesigen Druck der Öffentlichkeit
war es notwendig, möglichst rasch Erfolge aufweisen zu können. Nichts wäre peinlicher,
als sich tagelang eingestehen zu müssen, im Dunkeln zu tappen. Sowohl das Baden-württembergische
als auch das Berliner Innenministerium erwarteten rasche Ergebnisse. Und Oberstaatsanwalt
Dr. Ziegler hatte der Journalisten-Meute eine tägliche Pressekonferenz versprochen.
Häberle schickte die Kollegen, die seit zwölf
Stunden auf den Beinen waren, nach Hause. Er selbst fuhr ebenfalls heim und freute
sich auf eine heiße Dusche – und auf Susanne. Unterwegs, als er gegen hartnäckiges
Gähnen ankämpfte, kam ihm eine Idee. Wenn es neben diesem Nullenbruch noch eine
zweite Schlüsselperson gab, dann konnte dies nur Gangolf sein, der Ministerialdirektor
im Berliner Wirtschaftsministerium. Häberle erinnerte sich schlagartig an die seltsamen
Telefongespräche, die er und Linkohr mit diesem Mann geführt hatten – und dass es
sich um den Ex-Mann dieser Ute Siller handelte. Der Chef-Ermittler beschloss, dem
Herrn Politiker einen Besuch abzustatten. Wenn möglich schon morgen. Aber dies,
so befürchtete Häberle, würde Bruhn nur widerwillig genehmigen. Wenn überhaupt.
Gangolf hatte immerhin zwischen den Zeilen erkennen lassen, dass er Beziehungen
bis hin zur Göppinger Polizei pflegte. Wohin wohl sonst noch?, fragte er sich.
Die Zeitungen waren an diesem Mittwoch mit riesigen Aufmachern über
Klinsmanns Verschwinden erschienen. Allein die ›Geislinger Zeitung‹ widmete zwei
Seiten diesem Thema. Sander und drei seiner Kollegen hatten fieberhaft recherchiert,
Freunde und Bekannte des Bundestrainers ausfindig gemacht, Interviews im Vereinsheim
des SC Geislingen geführt und Fotos aus seiner Fußballjugend-Zeit zusammengetragen.
Die ›Bild-Zeitung‹ titelte: ›Klinsmann entführt
– WM in Gefahr?‹
Kripochef Bruhn und der Leiter der Polizeidirektion,
selbst ein Kriminalist, hatten sich an die Spitze der Ermittlungen gestellt und
zusätzlich zur Sonderkommission die angekündigte Aufbauorganisation zusammengerufen,
wie sie in Fällen allergrößter Gefahr üblich ist. Diese Mannschaft musste den Ermittlern
zuarbeiten, ihnen alles beschaffen und zur Verfügung stellen, was geboten schien.
Nie zuvor hatte es im Landkreis Göppingen so etwas gegeben.
Auf politischer Ebene ließen sich die beiden
Oberbürgermeister aus Göppingen und Geislingen sowie die Fraktionsvorsitzenden des
Kreistags und die Landes- und Bundestagsabgeordneten über das Geschehen informieren.
Landrat Hans Streber hatte diesen Personenkreis zu einer nichtöffentlichen Besprechung
in den Sitzungssaal des Kreistags gebeten.
Linkohr war es bereits am frühen Morgen gelungen,
die Hausdurchsuchung bei der Firma ›Nubru‹ zu erreichen. Häberle, übernächtigt und
schlecht rasiert, hatte zur Unterstützung vorsorglich einige Beamte des Spezialeinsatzkommandos
(SEK) und eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei erbeten.
Als die Mannschaftstransportwagen vor dem Firmenkomplex
vorfuhren, ging alles Schlag auf Schlag. Niemand im Gebäude sollte die Möglichkeit
haben, Unterlagen oder andere Beweismittel verschwinden zu lassen. Uniformierte
stürmten, begleitet von Kriminalisten, in das Foyer, ein Teil von ihnen rannte durch
die Flure, riss Bürotüren auf und gab den Beschäftigten zu verstehen, dass sie alles
liegen lassen und die Geschäftsräume verlassen
Weitere Kostenlose Bücher