Schusslinie
unterwegs im Flugzeug
unterhalten. Diese Anna schien es Nullenbruch angetan zu haben. Man hatte es aber
offenbar akzeptiert. »Sie glauben, Anna kann den Tresor öffnen?«
»Fragen Sie sie doch.«
Linkohr hatte eine Gesprächspause abgewartet.
Jetzt präsentierte er jenen Gegenstand, den er aus dem Tresor gefischt hatte: Das
schwarze Mäppchen, das er in der Hand hoch hob, enthielt ein Handy.
59
Noch immer parkten zwischen der Geislinger Stadtkirche und dem Kultur-
und Bürohaus in der MAG Übertragungswagen verschiedener Fernsehsender. Die Satelliten-Schüsseln
waren ausgerichtet und dicke Kabel verlegt, mit denen aus dem Verlagsgebäude der
›Geislinger Zeitung‹ Strom bezogen wurde. Kamerateams sprachen mit Passanten – eines
von RTL hatte sich einen besonderen Gag erlaubt und das lebensgroße Pappfoto Klinsmanns,
mit dem er für Eurocard warb, aus der Kreissparkasse geholt, um es als Kulisse für
ein Straßeninterview zu benutzen.
»Aus allem wird heutzutage eine Show gemacht«,
schüttelte Häberle den Kopf, als ihm die Kollegen am Nachmittag davon berichteten,
was sich in der Stadt abspielte. »Alles, was mit Personen zusammenhängt, wird gnadenlos
aufgeblasen.«
»Was glauben Sie, wie’s jetzt der armen Frau
in Kalifornien ergeht«, gab Linkohr zu bedenken, »deutsche Reporter werden über
sie herfallen wie die Heuschrecken.« Der junge Kriminalist hatte sich mit seinem
Chef aber über etwas anderes unterhalten wollen. Häberle hatte bereits mit Kapitán
Spišiak telefoniert und ihn von der neuesten Entwicklung informiert. Der aber wusste
längst Bescheid, weil auch die Medien in der Slowakei inzwischen pausenlos über
Klinsmanns Verschwinden berichteten.
»Chef«, begann Linkohr und sein Tonfall ließ
Häberle aufhorchen.
»Sie haben eine Überraschung?«
»Vielleicht schon«, erwiderte er stolz, »wir
wissen inzwischen, wem das Handy gehört, das wir im Tresor gefunden haben.«
»Sicher nicht Nullenbruch.«
»Richtig. Es gehört Lanski.«
»Ach«, staunte der Kommissar, »… das ist in
der Tat hochinteressant. Fingerabdrücke?«
»Die Kollegen sind dran, sagen aber, es sei
schwierig, weil das Mäppchen kaum dafür geeignet sei. Sie probieren’s aber. Vielleicht
findet sich auch DNA.« Eine Hautschuppe oder ein Haar würden reichen, den Täter
zu überführen, sofern man eine Vergleichsprobe von ihm hatte.
»Kollege«, stellte Häberle zufrieden fest,
»ich glaube, wir kommen voran.« Er verschränkte die Arme. »Hat sich eigentlich die
Frau Siller wieder beruhigt?«
Linkohr grinste. »Zwangsläufig. Sie hat derart
getobt, dass die Jungs von der Bereitschaftspolizei Angst hatten, sie könnte einen
Herzanfall bekommen. Sie haben’s dann in den Mannschaftswagen gebracht.«
»Und diese Anna?« Häberle war etwas eingefallen.
Eine eher beiläufige Bemerkung, die die Frau Siller einmal gemacht hatte. Oder sollte
er sich täuschen?
Die junge Frau war am Telefon nicht sehr erfreut gewesen, als sich
Häberle und Linkohr angekündigt hatten. Doch als der Kommissar durchblicken ließ,
dass er sie ansonsten von einer Streife abholen lassen würde, hatte sie eingelenkt.
Nun saßen sie sich in ihrem Wohnzimmer gegenüber, das jetzt einen wesentlich aufgeräumteren
Eindruck machte, als noch vor knapp zweieinhalb Wochen.
»Wir haben Grund zu der Annahme, dass Sie uns
etwas verschweigen«, begann Häberle, während Linkohr gespannt war, worauf der Chef
hinaus wollte. Auf der Herfahrt hatte er sich dazu in Schweigen gehüllt und nur
gesagt: »Warten Sie’s ab.« So sehr er sich den Kopf zerbrochen hatte, ihm fiel nicht
ein, was Häberle bewogen hatte, die halbstündige Fahrt zu Annas Wohnung auf sich
zu nehmen. Die Durchsuchung neulich hatte doch keinerlei Hinweise erbracht. Ein
paar Notizen, die zutage getreten waren, hatten mit Annas regen nächtlichen Geschäften
zu tun. Es waren Telefonnummern von Kunden und teilweise auch Aufzeichnungen über
deren Vorlieben. In der Tat, das hatten Linkohrs Kollegen aus der Sonderkommission
herausgefunden, ließen sich einige bekannte Persönlichkeiten mehr oder weniger regelmäßig
von Anna verwöhnen. Angesichts dieser zahlreichen Kundschaft drängte sich sogar
der Verdacht auf, dass die junge Frau das gar nicht alleine würde bewältigen können.
Vermutlich, so hatten die Kollegen gemeint, unterhielt sie eine Vermittlungsagentur,
war also selbst eine Zuhälterin. Linkohr ging aber davon aus, dass dies Häberle
kaum interessierte. Wenn er diese
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