Schusslinie
der Mann einem Mordanschlag zum Opfer gefallen.
Erschossen vor seinem Haus. Das war gerade mal eineinhalb Wochen her.
Der Beamte druckte diese Meldung aus.
Dann unterrichtete er den Kanzleramts-Mitarbeiter
von seiner Entdeckung und legte ihm schriftlich vor, was er im Internet gefunden
hatte. Der Mann, der hinter einem großen Schreibtisch residierte und die Korrektheit
in Person war, nahm die vorgelegten Papiere in die Hand und überflog sie. »Was hat
das zu bedeuten?«
»Das zu bewerten, steht mir nicht zu. Es ist
Ihre Aufgabe«, stellte der Sicherheitsdienstler fest. Der Mann hinterm Schreibtisch
war von den möglichen Folgen dieser Entdeckungen wenig angetan. »Woher kommt das?«,
fragte er knapp.
»Postleitzahlenbezirk dreiundsiebzig«, antwortete
der andere ebenso kühl, »Postverteilzentrum Salach. Ein Nest in Ba-Wü, südlich von
Stuttgart, Kreis Göppingen.« Er fügte erklärend hinzu: »Riesters Wahlkreis.«
»Und … weiter?«, gab sich der Kanzleramts-Mitarbeiter ungeduldig.
»Nichts. Seit es keine Poststempel mehr gibt,
lässt sich nichts weiter feststellen.«
Klar, das hätte er sich auch denken können,
musste sich der Korrekte hinterm Schreibtisch eingestehen. Der Kanzleramts-Beamte
überlegte, welche Maßnahmen jetzt erforderlich sein würden. Auch wenn dies alles
ziemlich skurril anmutete, so ließ der aufgelistete Personenkreis doch vermuten,
dass irgendein System hinter diesen Namen steckte. Alles Schiedsrichter – und einer
davon ermordet. Der Mann führte mehrere Telefonate innerhalb des Kanzleramts, erläuterte
stets mit denselben Worten die Situation und stieß jedes Mal nur auf Ratlosigkeit.
Erst beim sechsten Anrufer hatte er Erfolg. »Wenn da jemand Bescheid weiß«, so hörte
er eine sächselnde Stimme, »dann iss es der Gangolf.«
»Wo sitzt der denn?«
»Im Wirtschaftsministerium.«
»Entschuldigung«, sagte Gangolf, als das Telefon summte. Er erhob sich
von seinem Sessel, ging zum Schreibtisch und meldete sich. Dann lauschte er angestrengt
in den Hörer, räusperte sich mehrmals gereizt und erklärte schließlich: »Ja, selbstverständlich.
Ich komm in einer halben Stunde rüber.« Er legte auf und wandte sich an Häberle:
»Entschuldigen Sie, aber ich hab leider einen wichtigen Termin.« Anschließend setzte
er sich wieder und täuschte Gelassenheit vor. »Haben Sie sonst noch eine Frage?«
Häberle verneinte, was den Mann sichtlich erleichterte.
Er erhob sich sofort wieder und brachte damit zum Ausdruck, dass das Gespräch beendet
war. Häberle stand ebenfalls auf, während Gangolf bereits die Tür zum Vorzimmer
öffnete, in dem sich gerade keine Sekretärin aufhielt. Der Ministerialdirektor eilte
voraus, um seinen Gast vollends auf den Flur hinauszubegleiten. Häberles Blick streifte
für einen kurzen Moment den Computer-Monitor auf dem Schreibtisch der Sekretärin.
Ein einziges Wort, groß und fett geschrieben, wie für ein Einladungsschreiben gestaltet,
erweckte sein Interesse. ›Staufeneck‹ las er. Tatsächlich – ›Staufeneck‹. Und, kleiner
geschrieben, ein Datum. Er beugte sich im Vorübergehen leicht vor, um es entziffern
zu können: 23. September 2005.
63
Häberle war hundemüde mit der letzten Maschine nach Stuttgart zurückgeflogen.
Zwei Beamte der in Göppingen stationierten Bereitschaftspolizei holten ihn ab und
fuhren ihn nach Hause, wo er in der Frühe den Dienstwagen abgestellt hatte. Seiner
Frau hatte er seine Ankunft telefonisch angekündigt, weshalb jetzt bereits ein heißes
Bad auf ihn wartete. Er genoss diese Entspannung, ließ im Geiste die Ereignisse
der vergangenen Tage an sich vorbeiziehen – und schlief ein. Erst als ihn Susanne
zärtlich wach küsste, was nach einer dreiviertel Stunde geschah, wurde er aus einem
wirren Traum gerissen, an den er sich aber nicht mehr erinnern konnte. Er war überarbeitet,
matt und ausgelaugt.
Seine Frau hatte Maultaschen und Kartoffelsalat
gezaubert und ihm ein Weizenbier eingeschenkt. Das, so gut kannte sie ihn, würde
ihn wieder auf die Beine bringen. Während des Essens erzählte er von Berlin und
den dortigen baulichen Veränderungen, die es seit ihrem letzten Besuch gegeben hatte.
Er schlug vor, die nächste Wohnmobil-Reise in die Hauptstadt zu unternehmen.
Am meisten interessierten seine Frau jedoch
seine Ermittlungsergebnisse. »Nicht sehr ergiebig«, resümierte er, »aber wie so
oft, hab ich das Interessanteste vielleicht zufällig gesehen.«
»Und dies war?«, fragte sie und trank
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