Schusslinie
einen
Schluck Rotwein.
»Irgendetwas ist geplant – ein größeres Treffen
offenbar«, erwiderte er sachlich, »dieser Gangolf lässt Einladungen verschicken
– in großem Stil. Und jetzt darfst du raten, wohin.« Er genoss einen kräftigen Schluck
Weizenbier. Das Glas war beinahe schon leer.
»Keine Ahnung«, entgegnete Susanne.
»Staufeneck«, erklärte Häberle, »Staufeneck,
das neue Hotel.«
»Von Berlin nach Salach«, stellte Susanne amüsiert
fest, »der Trend geht halt aufs Land.« Sie grinste und fügte hinzu: »Soll ja ganz
schön modern sein da oben – auch Wellness und so. Und wer trifft sich da?«
»Null Ahnung«, räumte er ein, »ich weiß nur,
wann – am 23. September, ein Freitag. Und dies ist kurz nach der Bundestagswahl.«
»Was hat das zu bedeuten?«
Er zuckte mit den Schultern. »Das frag ich
mich auch. Irgendjemand will da Weichen stellen – und zwar gleich nach der Wahl.
Wenn Angie Kanzlerin geworden ist und Schröder seine Wunden leckt.«
»Das lag im Briefkasten«, berichtete Manfred Watzlaff, Leiter des Geislinger
Polizeireviers. Er hielt eine Videokassette in der mit einem Plastikhandschuh geschützten
Hand, als er Häberles Büro betrat. »Ohne Anschrift, ohne Absender – nur auf dem Aufkleber steht was: ›Klinsmann
aktuell‹.«
Der uniformierte Hauptkommissar deutete auf
die Oberseite der VHS-Kassette. Linkohr hatte im Vorbeigehen mitgekriegt, was Watzlaff
der Sonderkommission präsentierte. Der junge Kriminalist war auf die Vorführung
gespannt, die im Lehrsaal stattfinden sollte. Einige Kollegen hatten ein Videogerät
besorgt und es mit einem Fernsehapparat verkabelt. Wie in solchen Fällen üblich,
war beides zunächst nicht kompatibel. Erst nach halbstündigem Werkeln gelang es
einigen technisch versierten Beamten, die Kassette abzuspielen.
Rund 20 Beamte versammelten sich in dem Lehrsaal
und starrten auf den Bildschirm, wo das Video mit Rauschen und Flimmern begann.
Es dauerte eine halbe Minute, bis der Monitor schwarz wurde. Nach weiteren zehn
Sekunden flackerte das Bild und es war ein unscharfer Mann zu sehen, der seitlich
eines Fensters saß. Wer immer die Szene aufgenommen hatte, er war offenbar mit der
Technik der Kamera nicht vertraut gewesen.
Das Zoom raste hin und her, die Entfernungsautomatik
schien verrückt zu spielen, sodass mehr als eine Minute verging, bis das Bild ruhig
und scharf war. Erst jetzt erkannten die Kriminalisten, wer der Mann war: Bundestrainer
Jürgen Klinsmann. Er wirkte erschöpft, war blass und ungekämmt. Trotzdem schien
er seinen optimistischen Gesichtsausdruck bewahrt zu haben. Er starrte in die Kamera,
räusperte sich und kratzte sich an der Nase. Offenbar hatte er auf ein Zeichen für
seinen Auftritt gewartet. Im Lehrsaal wagte niemand zu sprechen. Atemlose Stille.
Aus dem Lautsprecher drang kein einziger Ton. Dann endlich: Klinsmann blickte ernst
zur Seite, schaute aber gleich darauf wieder direkt in die Kamera. »Liebe Freunde«,
begann er selbstbewusst, aber von den Ereignissen der vergangenen Tage sichtlich
gezeichnet, »seit vergangenem Montag werde ich von einer Gruppe festgehalten, die
ganz bestimmte Ziele verfolgt …«
Er stockte und blickte auf den Tisch, an dem er saß. Dort lag offenbar ein Zettel
mit vorbereitetem Text. »… die Ziele verfolgt, die all jene kennen müssen, die sich
jetzt angesprochen fühlen.« Linkohr versuchte, sich jedes Detail des Films einzuprägen,
obwohl er x-mal Gelegenheit haben würde, ihn immer und immer wieder zu sehen. Die
Wand hinter Klinsmann war weiß und bot keinerlei Hinweise auf den Ort. Das Fenster
links von ihm konnte man nur teilweise erkennen. Der Vorhang war aufgezogen, sodass
die Blenden-Automatik der Kamera von der Helle im Freien beeinflusst wurde. Klinsmanns
Gesicht erschien deshalb relativ dunkel. Offenbar war durch das Fenster nur Himmel
zu sehen, konstatierte Linkohr für sich.
Dann hörte er Klinsmann wieder sagen: »Ich
möchte Sie, die Sie mit der Sache zu tun haben, ganz herzlich bitten, auf die Forderungen
einzugehen.« Wieder sah der Bundestrainer nach unten und las vor: »Im Interesse
des deutschen Fußballs.« Das Bild flackerte, kippte um und verschwand. Wieder Rauschen
und Flimmern – aber nur für wenige Augenblicke. Dann war wieder formatfüllend Klinsmann
zu sehen. In diesem Augenblick glaubte Linkohr am Himmel hinter der Scheibe etwas
zu erkennen. Eine Bewegung, eine schnelle Bewegung quer über den Himmel. Ein Flugzeug?
Kaum, dachte Linkohr. Was er
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