Schusslinie
unpassenderweise an dieser Stelle errichtet
worden war, und rollte an den Anlegestellen entlang. Häberle staunte über die Jachten
und Motorboote, die in der Mole sanft schaukelten. Der Ort hatte sich in den vergangenen
Jahren, seit er mit Susanne da gewesen war, erheblich verändert. Aus dem damaligen
verträumten Fischerdörfchen war ein Touristenstädtchen geworden, das von dem Flair
vergangener Zeiten wohl nur noch in abgeschiedenen Winkeln etwas bewahrt haben dürfte.
Rechts reihten sich Lokale und feine Wohnhäuser
aneinander. Die Straße mündete am Ende in einen Parkplatz, der wohl den Bootsbesitzern
vorbehalten war. Der Chauffeur drehte um und rangierte den Kombi rückwärts bis nah
an große Begrenzungssteine heran. Häberle und Valabreque, die sich noch immer am
Tischchen gegenübersaßen, hatten somit durch das linke Fenster des Fahrgastraumes
die letzten Häuser des Stadtrandes im Blick.
»Das ist es«, erklärte der Einsatzleiter und
deutete auf das Einfamilienhaus ganz links drüben. Die Terrassentür war inzwischen
verschlossen, zwei Liegestühle standen davor. »Sieht aus, wie bei Touristen«, fühlte
sich der Franzose bestätigt und holte ein Mikrofon aus der Halterung hinter ihm.
Er sagte etwas auf Französisch. Es klang nach einer Bestätigung und nach einem Befehl.
»Alle sind schon da«, stellte Valabreque stolz
fest. Doch von den Einheiten, die hier aufgezogen sein mussten, war überhaupt nichts
zu sehen. Häberle vermutete, dass die wenigen Passanten, die auf dem Gehweg schlenderten,
allesamt Angehörige der Spezialeinheiten waren. Noch war es hell genug, um Einzelheiten
erkennen zu können. Über dem Zielobjekt flogen gut zwei Dutzend Flamingos im Formationsflug
vorbei.
Valabreque schaute auf seine große Armbanduhr.
»Noch dreißig Minuten«, stellte er sachlich fest. Die Operation konnte beginnen.
Häberle spürte, wie seine Hände feucht wurden. Wenn jetzt etwas schief ging, wenn
jetzt nicht alles mit der Präzision eines Uhrwerks ablief, dann würde in spätestens
einer Stunde ganz Deutschland vor Entsetzen gelähmt sein.
66
Meckenbach war von dem frühen, sonntäglichen Besuch noch immer wie
gelähmt. Er saß in seinem Wohnzimmer, hatte keinen Appetit und fühlte sich schlecht.
Noch hatte er auch die Strapazen der Košice-Reise nicht überwunden, obwohl sie schon
eineinhalb Wochen zurücklag. Eigentlich brauchte er dringend Urlaub, müsste ausspannen,
über alles in Ruhe nachdenken – über das Projekt in der Slowakei, die Situation
im Betrieb nach Nullenbruchs Abtauchen und vor allem das egoistische Machtstreben
von Ute, seit sie das Sagen hatte. Je länger er darüber nachdachte, und das tat
er jetzt schon den ganzen Tag, desto mehr tobte in ihm ein Kampf widersprüchlicher
Zweifel. Warum hatte sich Häberle so sehr für Ute und ihr Ferienhaus interessiert?
Welche seltsamen Zusammenhänge gab es da? Schon mehrfach hatte er zum Telefon greifen
wollen, um sie einfach anzurufen und zu fragen. Oder würde er damit in die Ermittlungen
eingreifen? Andererseits hatte ihm Häberle nicht verboten, mit irgendjemanden Kontakt
aufzunehmen. Konnte er diese Frau am Sonntagabend stören, diese Frau, die ihn immer
hat abblitzen lassen und die sich in den vergangenen Wochen stets weiter von ihm
entfernt hatte. Sie war inzwischen seine Chefin.
Meckenbach trank das zweite Glas Rotwein, stand
am Fenster seines Wohnzimmers und blickte über die Dächer der Nachbarhäuser hinweg.
Der Himmel war grau, wie so oft in diesem Sommer. Es hatte zu dämmern begonnen.
Sein Herz pochte, als er sich nun endgültig
entschied, Ute anzurufen. Wann sonst, wenn nicht jetzt. Morgen im Büro wäre alles
wieder sachlich und nüchtern und sie würde ihre üblichen Tobsuchtsanfälle ausleben.
Ihm war eine Idee gekommen. Er drückte am Mobilteil seines Telefons die Nummer und
lauschte auf das Freizeichen, während er auf einen imaginären Punkt in den grauen
Wolken starrte.
»Ja?«, schallte Utes Stimme kühl an sein Ohr.
»Ich bin’s, Wolfgang«, sagte er vorsichtig,
»entschuldige – ich hoffe, ich
stör dich nicht.«
»Nur zu …«, erwiderte sie emotionslos, als ginge es um einen geschäftlichen
Auftrag.
»Ich sitz gerade über meinen Urlaubsplänen«,
log er und versuchte seine innere Unruhe zu verbergen. »Du hast mir mal dieses Faltblatt
gegeben … von deinem Ferienhaus.«
»Ja, und?«, kam es knapp zurück.
»Du vermietest es doch noch? Oder hat sich
das Angebot erledigt?« Er drehte sich um und
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