Schusslinie
Meckenbach
unwirsch und drückte mit dem Zeigefinger seine verrutschte Brille auf die Nase zurück.
»Das hab ich Sie nicht fragen wollen, aber
etwas anderes ist mir durch den Kopf gegangen. Ihre Kollegin, die Frau Siller –
ich meine, Sie haben es erwähnt –, zieht sich gerne im Urlaub nach Südfrankreich
zurück. Wissen Sie zufällig, wohin?«
»Wie darf ich diese Frage verstehen?«
»Reine Routine, wie immer. Es hat wirklich
nichts mit Ihnen zu tun, überhaupt nicht. Ich dachte, dass wir uns nach der gemeinsamen
Reise ein bisschen helfen könnten.«
Meckenbach schien wieder Vertrauen gefasst
zu haben. »Das mit Südfrankreich hab ich gesagt, ja.«
»Wissen Sie zufällig, wo das ist?«
»Ist das denn für Sie wichtig? Darf ich fragen,
warum?«
Häberle sah ihn treuherzig an. »Sie würden
mir sehr weiterhelfen …«
Meckenbach zögerte, stand dann wortlos auf
und ging zu der hellen Schrankwand. Er kramte in einem Stapel Unterlagen, fand sofort,
was er suchte und reichte Häberle ein Faltblatt, mit dem auf ein Ferienhaus hingewiesen
wurde, dass zu vermieten war. »Das ist ihres«, erklärte Meckenbach, »Ute Sillers
Haus. Man kann es mieten. Sie hat’s mir auch schon angeboten, aber ich war noch
nicht unten. Soll aber herrlich sein. Gleich an den Anlegestellen.«
Häberle überflog das kopierte Blatt, auf dem
ein schmuckes Häuschen abgebildet war, das ziemlich frei zu stehen schien. Dann
fiel sein Blick auf die Adresse: Eine Straße mit Hausnummer in Saintes-Maries de
la Mer.
Er bedankte sich für das Gespräch, stand auf
und ließ sich von Meckenbach zum Flur begleiten. Dort blickte sich Häberle verlegen
um. »Eine Bitte, könnte ich kurz auf die Toilette?«
Meckenbach, der mit etwas ganz anderem gerechnet
hatte, obwohl er nicht hätte konkret sagen können, womit, lächelte: »Hier, bitte.«
Er deutete auf eine Tür. Häberle verschwand dahinter und befand sich in einem geräumigen,
in hellen warmen Farben gehaltenen Bad, in dem sich hinter einem architektonisch
raffiniert gelösten Wandvorsprung die Toilettenschüssel versteckte. Die Badewanne
schmiegte sich halbrund in eine Ecke, daneben eine große Duschkabine und ein ovales
Waschbecken. Häberles Blick streifte in Windeseile über Handtücher, Kunststoffflaschen,
Zahnbürsten und Salbentuben, die auf Ablagen und Regalen standen. Er öffnete vorsichtig
den Spiegelschrank überm Waschbecken und entdeckte sofort, wonach er suchte: einen
elektrischen Rasierapparat. Zufrieden ging er die paar Schritte zur Toilette, riss
drei Blätter von der Papierrolle und legte sie auf den Rand des Waschbeckens. Dann
nahm er vorsichtig den Rasierapparat aus dem Schränkchen, löste mit einem gekonnten
Griff das Scherblatt und schüttelte ihn einige Male über dem Papier, sodass sich
feinste Bartreste von dem Messerblock lösten und wie Pulver herausrieselten. Sofort
knüllte Häberle das Papier sorgfältig zusammen, steckte es in die Hosentasche, ließ
das Scherblatt auf den Apparat rasten und legte ihn in den Schrank zurück – stets
darauf bedacht, keine Geräusche zu verursachen. Danach eilte er zur Toilette und
drückte die Spülung. Er wartete noch ein paar Sekunden, wusch sich auffällig laut
die Hände, kam wieder in den Flur zurück und verabschiedete sich.
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Häberle war stolz auf sich. »Wir haben die Adresse. Es kann losgehen«,
entschied er. »Und keinen Ton zu dieser Siller. Wir halten sie vorläufig raus. Möglicherweise
weiß sie ja auch gar nicht, was in ihrem Ferienhaus geschieht.«
Zuvor hatte er Bruhn und das Innenministerium
eingeweiht, wo er am Sonntagvormittag nicht gerade auf begeisterte Gesprächspartner
gestoßen war. Unterdessen liefen bereits die Drähte nach Südfrankreich heiß. Aus
Erfahrung wusste Häberle, dass sich die Kontakte zu den dortigen Kollegen weitaus
einfacher gestalteten, als zu jenen der Slowakei. Mithilfe des Innenministeriums
und des Landeskriminalamts bereitete Häberle den ›Einsatz Marie‹ vor, wie sie ihn
nannten. Schon war die örtliche Polizeistation von Saintes-Maries de la Mer verständigt,
die den Auftrag erhalten hatte, das beschriebene Gebäude zu observieren. Spezialeinheiten
wurden aus Lyon und Marseille in Marsch gesetzt.
Bereits um die Mittagszeit traf in Geislingen
die Nachricht ein, dass besagtes Ferienhaus offenbar bewohnt sei. Man habe mehrere
Männer beobachtet und einen Mercedes-Kleinbus mit Hamburger Kennzeichen ausgemacht
– ein Mietwagen, wie Linkohr sofort herausgefunden
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